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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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Form eines Hühnerschnabels und die merkwürdige Farbe von Forellenkiemen. Ich sah, daß Dorabella eine Badekappe aufhatte; wahrscheinlich war ihr Haar noch nicht nachgewachsen. Ich konnte nicht sehen, ob Severin oder Edith sie hergebracht hatten; ich hatte ein Buch dabei, und das las ich.
    Es war mein fünfter historischer Roman, gerade erschienen, und ich war wütend darüber, wie er vertrieben wurde - als Kinderliteratur! Mein Verleger beharrte darauf, daß es eigentlich keine Kinderliteratur sei und es nichts gäbe, worüber ich mich aufregen müßte; er sagte mir, es werde für Jugendliche ab zwölf Jahren empfohlen. Wie sie einen solchen Schnitzer hatten machen können, geht über meinen Verstand. Das Buch hieß ›Joya de Nicaragua‹ und handelte von geflohenen kubanischen Tabakpflanzern - nach Castro -, die auf Plantagen in Nicaragua Havanna-Saatgut ziehen. Das Buch beschäftigt sich nur mit den Kubanern, die in Nicaragua gestorben waren.
    ›Joya de Nicaragua‹ ist der Name einer nicaraguanischen Qualitätszigarre. Mein Verleger gab mir gegenüber zu, daß sie das Buch eigentlich nicht sehr kräftig »pushten«; meine anderen vier historischen Romane hatten sich nicht sehr gut verkauft; nicht einer davon war ernsthaft rezensiert worden. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wenn ich je eine gehört habe! Und mein Institutsdirektor hatte es wieder einmal versäumt, mein Buch in die Liste der Neuveröffentlichungen der Fakultätsmitglieder aufzunehmen. Ja, mein Direktor hatte mir anvertraut, daß er für meine einzige Publikation einen kleinen, vor Jahren erschienen Artikel, ein aus meiner Dissertation exzerpiertes Kapitel, erachtete. Die Dissertation war unveröffentlicht; sie hieß ›Die Bedeutung des Bergsonschen Zeitbegriffs für den Klerikalfaschismus in Österreichs ›Joya de Nicaragua‹ ist ein viel besseres Buch.
    Als ich die Kinder vom Schwimmbad nach Hause brachte, war Utsch mit Packen fertig.
    »Bis sehr bald!« sagte Bart auf dem Flughafen zu mir.
    Jack, der sich erwachsen vorkam, wollte mir die Hand geben.
    Als ich wieder zu Hause war und das Haus nach Anzeichen von ihnen durchsuchte, die Utsch mir hinterlassen haben mochte, stellte ich fest, daß Utsch meinen Paß mitgenommen hatte. Das würde es für mich schwierig machen, ihnen sofort zu folgen.
    Ich fand den ans Kissen gepinnten Brief in dieser Nacht. Er war lang und gänzlich auf deutsch. Sie wußte sehr gut, daß ich ihn nicht würde lesen können. Ich pickte die paar isolierten Worte heraus, die irgendeinen Sinn ergaben, aber es war klar, daß ich einen Übersetzer brauchte. Einer der Ausdrücke lautete »Zurück nach Wien«; was das hieß, wußte ich. Ein weiteres Wort war »Severin«. Wen sonst hatte sie mir als Übersetzer zugedacht? Natürlich wußte sie, daß ich nicht einfach irgend jemand fragen konnte, der die Sprache beherrschte; der Inhalt des Briefes könnte peinlich sein. Ihre Absicht war offenkundig.
    Am anderen Morgen nahm ich den Brief mit zu ihm. Es war ein Sommermorgen. Severin und seine Töchter waren in der Küche, wo er einen Lunch zum Mitnehmen an den Strand mit Freunden für sie zusammenpackte. In der Auffahrt stand ein fremdes Auto; das Auto war voller Kinder, und die Fahrerin, die ich nicht erkannte, schien die Art von Idiotin zu sein, die in einem Auto voller Kinder tatsächlich Spaß haben kann. Sie schien es für riesig zu halten, daß Severin den Lunch zusammenpackte und die Kinder fertigmachte, obwohl jeder, der die Winters kannte, wußte, daß Edith nie dergleichen tat.
    »Außerdem«, grummelte mir Severin zu, während das Auto hupend rückwärts aus der Auffahrt stieß, »ist es ein besserer Lunch, als sie ihn für ihre eigenen Kinder gemacht hat. Fahren Sie vorsichtig!« bellte er plötzlich; es klang wie eine Drohung.
    »Edith ist am Schreiben«, sagte er mir in der Küche.
    »Ich wollte dich besuchen«, sagte ich. »Ich brauche ein bißchen Hilfe.« Ich reichte ihm den Brief.
    Immer noch lesend, sagte er: »Das tut mir leid. Ich hätte nicht gedacht, daß sie weggeht.«
    »Was schreibt sie?« fragte ich.
    »Sie ist nach Wien gefahren.«
    »Das weiß ich.«
    »Sie möchte, daß du sie eine Weile allein läßt. Sie wird dir als erste schreiben. Sie sagt, sie sei völlig verläßlich, und du sollst dir um die Kinder keine Sorgen machen.«
    Der Brief war länger als das. »Ist das alles, was sie sagt?« fragte ich.
    »Das ist alles, was sie zu dir sagt«, sagte er.
    Auf dem Schneidebrett lag ein
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