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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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hatte. Ich sagte: »Ich sollte auch Edith holen.«
    »Es kann nicht Audrey Cannon sein«, sagte Utsch. »Er ist einfach unfähig, sie wiederzusehen.«
    »Dann ist es eine andere Audrey Cannon«, sagte ich. »Verstehst du denn nicht? Für ihn wird's eine Audrey Cannon nach der anderen geben, weil er nun mal so ist. Es ist wahrscheinlich irgendeine Volleyballspielerin, der vier Finger fehlen. Bei ihm ist es immer wieder Audrey Cannon. Ich kenne das.«
    »Du kennst dich«, sagte Utsch. »Das ist alles, was du kennst.«
    Sie kauerte auf der harten Bank in ihrer feuchten Bluse, in meinem Jackett, dessen Ellbogenflicken an ihren Handgelenken hingen, in meiner Hose, deren Schritt bis zu ihren Knien durchsackte. Sie sah aus wie ein Clown, dessen Haus in der Nacht niedergebrannt war und der es bloß geschafft hat, anzuziehen, was gerade zur Hand war. Ich legte die Arme um sie, aber sie schlug nach mir, packte meine Hand und biß kräftig hinein, so daß ich von ihr abrücken mußte.
    »Wart's einfach ab«, sagte ich.
    »Ich warte.«
    Wir warteten lange.
    Als ich Severin in der Dusche auf deutsch singen hörte, wurde mir klar, daß Utsch das Lied natürlich kannte und daß das Ganze vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war. Dann flammten die Unterwasserlampen auf, und zwei nackte Körper sprinteten lachend über die Fliesen und ins Wasser. Keiner hatte gehumpelt. Der kurze, kräftige, seehundhafte Körper, der mitten im Becken die Wasseroberfläche durchstieß und wie ein Walroß schnaubte, war natürlich Severin, und die schlanke, anmutige Frau, die durch das grüne Licht glitt und, seine Eier zärtlich in der Hand wiegend, gegen ihn strich, war Edith.
    »Es ist Edith«, flüsterte ich.
    »Natürlich ist sie es«, sagte Utsch.
    Sie sahen uns, sobald wir sprachen. Edith schwamm zum anderen Beckenrand und hielt sich an der Kante fest. Severin trat, wie ein Büffel in seiner Suhle, im tiefen Ende Wasser und starrte uns an. Ich nahm Utschs Arm, aber sie machte sich los und ging die Balkontreppe hinunter. Wir brauchten ewig, um die Tür zur Dusche zu erreichen. Mein einziger Gedanke war, daß unser Mißverständnis jetzt komplett war, denn ich war sicher, die Winters dachten, Utsch und ich seien gerade mit unserem eigenen Ritual fertig geworden.
    Mein letzter Blick auf Edith wurde nicht erwidert. Ihr schlanker Rücken war mir zugewandt, ihr feuchtes Haar lag auf ihren Schultern, ihr Körper war an den Beckenrand gepreßt. Severin, das runde Gesicht verwirrt, dümpelte noch draußen im Wasser und fand das Zusammentreffen offenbar recht komisch, denn er grinste - oder mühte er sich bloß ab, oben zu bleiben?
    Wer weiß? Wer weiß, was er je dachte?
    Bei der Tür zur Dusche drehte ich mich um und schleuderte den Schlüsselring auf das verlockende Ziel seines Kopfes. Er duckte ab, und ich traf nicht.
    Als wir nach Hause kamen, war Jack wach, sein schmaler Körper wie ein Messer im Schatten auf dem oberen Treppenabsatz. »Warum hast du Daddys Hose an?« fragte er Utsch. Sie streifte sie noch auf der Treppe ab und kickte sie weg.
    »Ich hab sie nicht mehr an«, sagte sie.
    Sie führte Jack zu seinem Bett zurück, seine Hand auf ihrer nackten Hüfte, obwohl ich ihr schon hundertmal gesagt habe, daß er allmählich zu alt dafür wird, daß sie sich nackt vor ihm zeigt.
    »Ich hab nicht gewußt, wo ihr seid«, beklagte sich Jack. »Und wenn Bart aufgewacht wäre? Und wenn er Ohrenschmerzen gehabt hätte oder einen schlimmen Traum?«
    »Na, jetzt sind wir ja zu Hause«, sagte ihm Utsch.
    »Ich hab nicht richtig Angst gehabt«, sagte er.
    »Träum schön«, sagte Utsch. »Wir machen eine Reise. Träum davon.«
    »Wer macht eine Reise?«
    »Du und Bart und ich«, sagte Utsch.
    »Daddy nicht?« fragte Jack.
    »Nein, Daddy nicht«, sagte Utsch.
    »Was immer du denkst«, sagte ich später zu ihr, »es ist nicht nötig, die Kinder hineinzuziehen, oder? Wenn du von mir weg willst, laß die Kinder hier. Geh eine Weile allein weg, wenn du das willst.«
    »Du verstehst nicht«, sagte sie. »Ich werde dich verlassen.«
    »Nur zu«, sagte ich, »aber Jack und Bart bleiben hier.«
    Es war ein nasser Frühling gewesen und ein kühler Sommeranfang, aber die Kinder waren froh, schulfrei zu haben. Als ich sie ins Schwimmbad des University Club mitnahm, bemerkte ich, daß das Mädchen, das Jack hinterher lief, ihn aufzog und sich ins Becken schubsen ließ, Fiordiligi Winter war. Die Narbe, die das Knie eines hübschen Beines verunstaltete, hatte die
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