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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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langes, dünnes, mit Fischschuppen übersätes Messer; es glänzte im Sonnenlicht, das durch die Küchenfenster einfiel. Er mußte Fisch fürs Mittagessen vorbereitet haben. Severin war ein so eigenartiger Kerl, daß er morgens rohen Fisch ausnehmen konnte. Während ich noch auf das Messer starrte, hob er es auf und warf es in die Seifenlauge im Ausguß.
    »Laß ihr einfach ein bißchen Zeit«, sagte er. »Alles wird sich richten.«
    »In dem Brief steht irgendwas von Hühnern«, sagte ich. »Was ist das?«
    »Das ist bloß eine Redensart«, sagte er lachend. »Es hat nichts mit dem Wort zu tun.«
    »Was bedeutet es?«
    »Es ist bloß eine Redensart«, sagte Severin. »Es bedeutet: ›Es ist Zeit, aufzubrechen, Zeit zu gehen‹, so was in der Art.«
    Ich hob das schleimige Schneidebrett auf und schwang es herum, als wäre es ein Tennisschläger. »Wie lautet die Redensart genau?« fragte ich ihn. »Ich will eine wörtliche Übersetzung.«
    Irgendwie konnte ich nicht zu zittern aufhören.
    »›Sattle die Hühner‹«, sagte er. »›Wir reiten aus.‹«
    Ihn anstarrend, schwenkte ich weiter das fischverschmierte Schneidebrett. »›Sattle die Hühner, wir reiten aus‹?«
    »Ein alter Wiener Witz«, sagte Severin.
    »Ihr habt schon so einen Sinn für Humor, ihr Wiener«, sagte ich. Er streckte die Hand aus, und ich gab ihm das Schneidebrett.
    »Wenn es dir hilft, das zu wissen«, sagte er, »Utsch haßt mich.«
    »Unwahrscheinlich.«
    »Sieh mal«, sagte er, »sie muß einfach ihren Stolz wiedergewinnen. Ich weiß es, weil ich auch meinen Stolz wiedergewinnen muß. Es ist wirklich ganz einfach. Sie weiß, daß ich die ganze Sache eigentlich nicht wollte, und sie weiß, daß du mehr an dich als an sie gedacht hast. Wir haben alle mehr an uns als an Utsch gedacht. Und ihr alle habt mehr an euch als an mich gedacht. Jetzt mußt du einfach geduldig sein und so weitermachen wie bisher - bloß ein bißchen weniger aggressiv. Hilf ihr, mich zu hassen, aber übertreib's nicht.«
    »Ihr helfen, dich zu hassen?«
    »Ja«, sagte er. »Edith wird dich nach einer Weile auch hassen; sie wird die ganze Sache bedauern. Und ich helfe ihr, zu bedauern. Es fängt schon an.«
    »Dieser ganze Haß ist nicht nötig«, sagte ich.
    »Sei nicht blöd«, sagte Severin. »Du tust es doch selber. Du versuchst, Utsch dazu zu bringen, daß sie mich haßt, und es wird dir gelingen«, sagte er fröhlich. »Hab einfach Geduld.« Severin Winter war am abscheulichsten, wenn er glaubte, er täte einem einen Gefallen.
    »Wo ist Edith?« fragte ich.
    »Schreibt. Hab ich dir doch gesagt«, sagte er, aber er merkte, daß ich ihm nicht glaubte. Er zuckte die Achseln und führte mich zum Fuß der Treppe, wo er mir durch Gesten zu verstehen gab, ich solle die Schuhe ausziehen. Leise schlichen wir nach oben, durch ihr zerwühltes, durcheinandergewirbeltes Schlafzimmer - die geschmolzene Kerze gab mir einen kräftigen Stich - zur Tür von Ediths Arbeitszimmer. Musik spielte. Sie konnte unsere Stimmen unten in der Küche nie und nimmer gehört haben. Severin deutete aufs Schlüsselloch, und ich schaute hindurch. Sie saß ganz still an ihrem Schreibtisch. Plötzlich tippte sie rasch drei oder vier Zeilen. Dann kam ihre Bewegung wieder zum Stillstand, und sie schien mit der vollkommenen Konzentration einer überm Wasser - über ihrer Nahrung, ihrem ganzen Lebensquell - schwebenden Möwe über der Maschine zu verharren.
    Severin winkte mich weg, und wir gingen auf Zehenspitzen in die Küche zurück. »Sie hat gerade ihren Roman verkauft«, sagte er. Er hätte mich ebensogut mit dem Schneidebrett schlagen wie einen Fisch betäuben und aufschlitzen können.
    »Ihren Roman?« sagte ich. »Was für einen Roman? Ich hab gar nicht gewußt, daß sie an einem Roman arbeitet.«
    »Sie hat dir nicht alles gezeigt«, sagte Severin.
    In dieser Nacht versuchte ich, das Schlafen wiederaufzunehmen. Im Wäschekorb fand ich ein altes Leibchen von Utsch, zog es einem Kissen an und schlief an es geschmiegt, ihren Geruch riechend. Aber nach ein paar Nächten roch es eher nach mir - eher nach dem ganzen Bett und dem ganzen Haus -, und nachdem ich es gewaschen hatte, roch es schlicht nach Seife. Das Leibchen leierte aus, und ein Träger riß, aber ich verlegte mich darauf, es morgens selbst zu tragen, weil es mir am nächsten war, wenn ich aufwachte. Ich fand auch Barts gestreiftes T-Shirt mit einem lachenden Froschgesicht drauf und eine silberne Cowboy-Jacke, der Jack entwachsen war.
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