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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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Morgens, während ich frühstückte, hängte ich Barts T-Shirt über die Lehne eines Stuhls und Jacks Cowboy-Jacke über einen anderen und setzte mich in Utschs altem, zerrissenem Leibchen zum Essen zu ihnen. So saß ich an jenem Morgen da, als Edith hereinschneite und mir erzählte, daß sie alle nach Wien fahren würden und ob ich irgendeine Nachricht für Utsch hätte.
    Vaso Trivanovi c und Zivan Knesevi c, jene nicht umzubringenden C etnic-Olympioniken, waren im Abstand von zwei Tagen gestorben. Frau Reiner hatte telegrafiert. Severin war der Vollstrecker ihres Testaments, das weitere gräßliche Gemälde von Kurt Winter einschloß.
    »Ist es nicht eine Ironie?« fragte Edith. »Schieles Frau ist während der Epidemie 1918 an der Spanischen Grippe gestorben, und Schiele ist bloß zwei Tage später gestorben. Es ist genau wie bei Vaso und Zivan. Und Schieles Frau hat auch Edith geheißen.«
    Ich war mir darüber im klaren, daß sie meinetwegen sinnlos daherredete. Sie starrte auf die wie Kinder angezogenen Küchenstühle und auf Utschs altes Leibchen, und ich wußte, daß es ihr peinlich war und sie es nicht erwarten konnte, von mir wegzukommen; daß ich ihr das, wovon auch immer Severin sie in bezug auf mich nicht hatte überzeugen können, jetzt demonstrierte.
    »Keine Nachricht«, sagte ich. Ich hatte zweimal von Utsch gehört; sie hatte geschrieben, daß die Kinder mich vermißten und sie nichts täte, weswegen ich mich ihrer schämen müßte. In ihrem zweiten Brief hatte sie meinen Paß zurückgeschickt, aber ohne Einladung.
    »Ich habe beschlossen, mit Severin mitzufahren, weil es schließlich Sommer ist und die Kinder nie gesehen haben, wo ihr Vater eigentlich her ist, und es lustig sein könnte, wieder hinzufahren«, quasselte Edith. »Keine Nachricht?« fragte sie. »Wirklich nicht?« Sie war konfus. Mir wurde klar, daß sie durch Utschs Leibchen durchsehen konnte, also blieb ich sitzen. Auch mir war es peinlich, und ich wollte, daß sie ging. Ich mußte mich zurückhalten, um sie nicht nach ihrem Roman zu fragen; ich wollte wissen, wer ihn verlegte und wann er erscheinen würde, aber ich wollte nicht, daß sie wußte, daß ich es wissen wollte. Sie hatte über ›Joya de Nicaragua‹ kein Wort zu mir gesagt; ich wußte, sie fand es schlecht - falls sie es überhaupt gelesen hatte. Sie sah mich an, als fände sie, ich sei bemitleidenswert und es gäbe nichts zu sagen.
    »Sattle die Hühner«, sagte ich, »wir reiten aus.« Was sie von meinem Irresein überzeugt haben muß, denn sie drehte sich um und ging so rasch, wie sie gekommen war.
    Ich ging ins Schlafzimmer, warf Utschs Leibchen in eine Ecke, legte mich nackt ins Bett und dachte an Edith, bis ich in meine Hand kam. Es würde, wie ich wußte, das letztemal sein, daß ich beim Gedanken an Edith kommen konnte.
    Wenig später rief Severin an. Ich war sicher, daß Edith ihm erzählt hatte, ich sei völlig übergeschnappt, und er müsse nach mir sehen. »Gib uns Utschs Adresse«, sagte er. »Vielleicht können wir mit ihr reden und ihr sagen, daß ihr beide zusammensein solltet.« Ich zögerte nicht, ihm die falsche Adresse zu geben. Es war die Adresse der American Church of Christ, wo Utsch und ich getraut worden waren. Später dachte ich, daß der Streich, den ich Severin gespielt hatte, die Art von Streich war, die er spielen würde, und daß er ihm irgendwie gefallen würde.
    Ich schrieb Utsch, daß sie kamen und warum. »Wenn du ein Paar siehst, das ein häßliches Gemälde die Straße entlang trägt und sich darüber streitet, was sie damit anfangen sollen, dann bleib ihnen vom Leibe«, schrieb ich.
    Dann fingen die Träume an, und ich konnte nicht schlafen. Sie drehten sich um meine Kinder, und Severin Winter hätte sie verstanden.
    Da war einer, in dem Jack mit der Straßenbahn fährt. Er bestürmt Utsch, ihn auf der offenen Plattform stehen zu lassen, und sie gibt nach. Die Straßenbahn kommt an eine Haarnadelkurve, und als Utsch sich umsieht, ist Jack verschwunden. Dann war da einer von Bart, der Großstadtmenschen nicht gewohnt ist. Utsch kauft etwas Brot, um die Tauben in einem Park zu füttern, und Bart steht dort, wo man ihn zu warten geheißen hat. Das Auto, das wie ein altes Mercedes-Taxi aussieht und nach Diesel stinkt, ist kein Taxi; es hält mit stotterndem Motor am Bordstein, und der Fahrer sagt: »Kleiner Mann?« Weil es ein Traum ist, spricht der Fahrer sogar in Wien Englisch, und Bart geht hinüber, um nachzusehen, was der
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