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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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ihn zum Auto tragen müssen«, murrte ich.
    »Los, wir gehen hoch und holen ihn«, sagte Edith. Ich wußte, daß sie glaubte, er würde nicht so ärgerlich sein, wenn wir alle auftauchten.
    Unten auf dem dunklen Lehmboden des Käfigs warf ein einsamer Korbschütze seinen Ball. Der dotzte auf den Lehm wie ein unbemerkt von der Holzbahn gefallener Leichnam. Ein unregelmäßiges Rumsen kam aus der Ringerhalle. Edith zog an der Tür, dann drückte sie.
    »Es ist eine Schiebetür«, sagte Utsch und machte sie auf.
    Drinnen blies uns die unglaubliche, feuchte Hitze an. Mehrere Ringer sackten schweißdurchtränkt an den Wänden und sahen Severin und George James Bender zu. Früher mochte es vielleicht ein Kampf gewesen sein, aber Severin war mittlerweile müde. Er lag grunzend auf Ellbogen und Schenkeln und mühte sich ab, seinen Bauch von der Matte zu heben; immer wenn er sich auf Hände und Knie hochrappelte, ließ ihn Bender vorwärtslaufen wie einen Schubkarren, bis Severins Arme einknickten und er auf die Brust stürzte. Als Edith sagte: »Entschuldigung, daß wir spät kommen, Lieber«, sah Severin zu müde aus, um noch einmal aufzustehen. Er hob den Kopf von der Matte und sah uns an, aber Bender stieß ihn wieder zurück; Bender hatte niemanden gehört - ich bezweifle, ob er das je tat. Severin kämpfte sich wieder auf Hände und Knie, und Bender trieb ihn vorwärts. Da begann sich Severin zu bewegen. Er ging unter Bender jäh in die Hocke und drehte sich so schnell, daß Bender sich abstrampeln mußte, um hinter ihm zu bleiben. Dann schüttelte er Benders Gewicht lange genug von seinem Rücken, um aufzustehen, und griff sich eine Faustvoll der Finger des Jungen um seine Hüfte, schälte sie auseinander und sprintete plötzlich über die Matte wie ein Halfback, der ein Tackling durchbricht. Bender tauchte nach seinen Knöcheln, aber Severin kickte sich frei; sein Atem war heftig, gewaltige, saugende, aus irgendeinem alten Energiereservoir geholte Atemzüge, und er kauerte sich vornübergekrümmt zusammen, die Hände auf den Knien.
    Dann sah uns Bender, und er und die anderen Ringer marschierten so feierlich wie Druiden im Gänsemarsch aus der Halle. Edith berührte Severins wogenden Rücken, wischte sich aber sofort an ihrem Mantel seinen Schweiß von der Hand. Utsch gab Severins durchweichter Brust einen herzhaften Klaps.
    Später sagte ich zu Utsch, daß ich glaubte, Bender habe ihn entwischen lassen, aber sie sagte, ich hätte keine Ahnung davon. Severin habe sich losgerissen, das habe sie eindeutig erkannt. Wie auch immer, sein Extra-Ausbruch war eine Sondereinlage für uns gewesen, und so sagte ich: »Ich wußte gar nicht, daß du das drauf hast, alter Junge.«
    Er konnte kaum reden. Seine Kehle schien zugedrückt, und der Schweiß lief in stetigem Rinnsal von seiner krummen Nase, aber er zwinkerte mir zu und keuchte laut genug, daß die Frauen es hören konnten: »Die zweite Luft des Hahnreis.«
    Unsere erste und letzte Nacht in einem Hotel, und Severin versorgte uns, wie stets, mit einem Gesprächsthema. Sein vulgärer Einzeiler hielt Edith und mich die ganze Nacht wach.
    »Und worüber habt ihr geredet?« fragte ich Utsch am anderen Morgen.
    »Wir haben nicht geredet«, sagte sie.
    Früh eines Morgens machte ich einen Abschiedspaziergang. Ich war zur Stelle, um die Instandhaltungsleute die neue Sporthalle aufschließen, den alten Käfig aufriegeln und alle Geister und Keime dort drinnen auslüften zu sehen. Hinter den Tennisplätzen prellte ein junges Mädchen einen Ball gegen das Korbbrett; ihre weichen Würfe machten das einzige Geräusch, das ich hören konnte. Niemand lief auf der Holzbahn. Ich stand auf dem staubigen Boden des Käfigs, der sein langsames Sommer-Braten begann, und im lockeren System der Netze, die verhindern, daß die Basebälle die Oberlichter zertrümmern. Ich spürte, daß jemand, so still wie ich, an der Tür zur Ringerhalle stand. An seiner Wange war ein Schatten - oder war es ein Loch? Ich nehme an, ich habe nach Luft geschnappt, denn natürlich war ich sicher, es war Utschs Leibwächter, der nach Amerika gekommen war, um eine versprochene Ermordung auszuführen - meine. Dann schien es der Gestalt von meinem Starren unbehaglich zu werden, und sie kam hinter den tarnenden Netzen hervor. Er war zu jung; er hatte kein Loch in der Wange, stellte ich fest, bloß ein blaues Auge.
    Es war George James Bender; er erkannte mich und winkte. Er hatte nicht trainiert; er trug Alltagskleidung.
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