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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer
Autoren: Lady April
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1
    Tiefe Stille senkte sich über das
Bibliothekszimmer, aber nicht in einer Atmosphäre innigster Vertrautheit,
sondern spannunggeladen und bedrohlich, und wurde immer deutlicher fühlbar.
Myladys blaue Augen starrten ängstlich in die kühlen grauen von Mylord, um
schließlich wieder auf den unter seiner Hand liegenden Stoß unbezahlter
Rechnungen zurückzukehren. Sie senkte ihr schönes Köpfchen und preßte die Hände
nervös aneinander. Trotz ihrem hochmodernen und außerordentlich teuren Negligé
aus französischer Seide und dem smarten kurzen Haarschnitt, den der
fashionabelste Friseur Londons für ihre goldenen Lokken kreiert hatte, sah sie
lächerlich jung aus, fast wie ein Schulmädel, das man bei einem Unfug ertappt
hatte. Sie war in der Tat noch nicht neunzehn Jahre alt und seit fast einem
Jahr mit dem Gentleman verheiratet, der, ihr gegenüber, vor seinem
Schreibtisch stand und sie stumm und regungslos ansah.
    «Nun?»
    Sie
schluckte krampfhaft. Der Earl sprach zwar sehr verhalten, doch ihr feines Ohr
erkannte sogleich den unerbittlichen Ton seiner Stimme. Sie warf ihm einen
verängstigten Blick zu und, neuerdings errötend, schlug sie die Augen zu Boden.
Er sah sie keineswegs böse an, es unterlag aber keinem Zweifel, daß er fest
entschlossen war, eine Antwort auf die völlig unbeantwortbare Frage zu
erzwingen, die er seiner irregeleiteten jungen Frau gestellt hatte.
    Und wieder
senkte sich das bedrohliche Schweigen hernieder, das nur durch das Ticken der
großen Uhr auf dem Kaminsims unterbrochen wurde. Mylady krampfte die Finger so
fest zusammen, daß die Knöchel weiß schimmerten.
    «Ich fragte
dich, Nell, wieso es kommt, daß alle Geschäftsleute ...» der Earl hob die
Rechnungen in die Höhe und ließ sie hierauf wieder auf den Schreibtisch fallen,
«es für notwendig erachteten, sich zur Begleichung ihrer außenstehenden
Rechnungen an mich zu wenden?»
    «Es tut mir
so schrecklich leid!» stotterte die junge Gräfin.
    «Das ist
keine Antwort auf meine Frage», sagte er trocken.
    «Nun ja ...
es ist ... ich glaube, es ist, weil ich ... weil ich sie zu bezahlen vergaß.»
    «Du hast
sie zu bezahlen vergessen?»
    Das
goldblonde Haupt senkte sich noch tiefer. Sie schluckte wieder. «Wieder einmal
in Geldverlegenheit, Nell?»
    Sie nickte
schuldbewußt, während sie blutrot wurde.
    Er schwieg
einen Moment, und sein Gesichtsausdruck war unergründlich. Sein Blick schien
sie aufmerksam zu prüfen, doch man hätte unmöglich erraten können, welche
Gedanken ihm durch den Kopf gingen. «Es scheint, daß ich dir ein völlig
unzulängliches Nadelgeld ausgesetzt habe», bemerkte er.
    Das
Bewußtsein, daß das Nadelgeld, welches er ihr ausgesetzt, ungemein großzügig
war, veranlaßte sie, ihm einen flehenden Blick zuzuwerfen und zu stottern:
«Nein, o nein!»
    «Warum
machst du dann Schulden?»
    «Ich habe Einkäufe
gemacht, die ich vielleicht nicht hätte machen dürfen», sagte sie verzweifelt.
«Dieses ... dieses Negligé zum Beispiel! Es tut mir wahr und wahrhaftig
schrecklich leid! Ich werde es nie wieder tun.»
    «Kann ich
deine bezahlten Rechnungen sehen?»
    Das wurde
in noch sanfterem Ton vorgebracht, dennoch vertrieb es den letzten Rest der
Farbe von ihren Wangen. Sie wurde ebenso blaß, wie sie vorher errötet war.
Obwohl sie einige bezahlte Rechnungen vorzuweisen hatte, wußte niemand besser
als sie, daß der Gesamtbetrag – wenn er der 'Tochter eines verarmten Pairs
auch enorm erschienen sein mußte – nicht einmal über die Hälfte der Verwendung
des großzügigen Nadelgeldes Aufschluß gab, welches vierteljährlich bei ihrem
Bankier eingezahlt wurde. Und Mylord würde jetzt jeden Augenblick die Frage
stellen, die sie so sehr fürchtete und nicht wahrheitsgemäß zu beantworten
wagte.
    Und sie
kam.
    «Neil, vor
zwei Monaten», sagte der Earl in gemessenem Ton, «habe ich dir streng verboten,
die Schulden deines Bruders noch einmal zu bezahlen. Du gabst mir dein Wort,
es nicht mehr zu tun. Hast du es dennoch getan?»
    Sie
schüttelte den Kopf. Es war schrecklich, ihn anlügen zu müssen, aber was konnte
sie anderes tun, wenn er sie so streng ansah und so wenig Verständnis für
Dysart aufbrachte? Bestimmt war an Dysarts ständig wiederkehrenden
Schwierigkeiten nur sein unerhörtes Pech schuld, und scheinbar konnte Cardross
nicht verstehen, wie ungerecht es war, Dysart dafür zu tadeln, daß er nicht
imstande war, seine Leidenschaft für Hasardspiel und Wetten aufzugeben. Denn
diese
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