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Des Drachens grauer Atem

Des Drachens grauer Atem

Titel: Des Drachens grauer Atem
Autoren: Harry Thürk
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Blumen im Bergwind

    Immer wenn Satchanasai sich aufrichtete, spürte sie Schmerzen im Rücken. Sie war jetzt den dritten Tag auf dem Mohnfeld; weil sie größer war als die meisten anderen Frauen, musste sie in gebückter Haltung arbeiten. Nur so konnte sie mit dem kleinen, gekrümmten Messer jene haarfeinen Schnitte in die Kapseln ritzen, aus denen langsam, im Verlaufe von vielen Stunden, die weiße Milch heraustrat.
    Satchanasai war geschickt im Anritzen der Mohnkapseln. Man bekam klebrige Finger dabei, und die Sonne versengte einem das Gesicht. Das Mädchen hatte sich deshalb mit einer Mischung von Hühnerblut und Erde eingerieben, aber auch das hielt die Strahlen nicht völlig ab. Und doch war diese Arbeit noch die bequemere; jene Frauen, die einen Tag nach dem Anritzen den geronnenen Saft von den Kapseln abschabten und in kleinen Blechbüchsen sammelten, waren schlechter dran. Die bräunliche Masse war widerspenstig, zuweilen fiel so ein Klümpchen auf die Erde, wenn man schon glaubte, es an der Klinge zu haben. Dann war die Mühe vergebens gewesen. Es nutzte wenig, das Klümpchen aufzuheben, denn an ihm klebten Schmutz und Laubteilchen, die die Masse verunreinigten und im Wert minderten. Andererseits murrten die Männer, wenn die Frauen am Abend ihre Gefäße nicht gefüllt hatten.
    Das Feld, auf dem die Frauen arbeiteten, lag mehr als eine Stunde von Muong Nan entfernt, auf einer Hochebene zwischen felsigen Berghängen, schwer zugänglich. Es hatte zwar Wasser, aber nur karges Erdreich. Hier in der Bergregion des nordwestlichen Thailand gab es wenig bebaubaren Boden. Man bestellte ein Feld, solange es eine Ernte versprach, dann ließ man es brachliegen, bis es wieder eine niedere Vegetation zeigte. Hatte diese eine gewisse Dichte erreicht, hieb man sie zusammen und grub Zweige, Laub und Gras ein. Dadurch gewann der Boden so viel Kraft, dass er erneut bestellt werden konnte, allerdings nur für eine kürzere Periode als vorher.
    Man baute hauptsächlich Mohn, seit erdenklichen Zeiten. Die rosa oder malvenfarbigen Blüten bedeckten beinahe jedes Stück verwertbaren Bodens in den Bergen. Der Mohn vertrug die Sonne, er vertrug auch die Kühle der Nächte. Er kam mit wenig Feuchtigkeit aus. Vor allem aber war er seit Generationen das einzige gewinnbringende Tauschobjekt der Gebirgsbewohner.
    Sicherlich hätte man Trockenreis ziehen können, man tat es auch im bescheidenen Umfange in der unmittelbaren Nähe der Ansiedlungen, aber man brauchte zum Leben auch Öl und Salz. Brennstoff für die Lampen und Kattun, um sich zu kleiden. Dies alles konnte man im Tiefland eintauschen gegen Opium. Ein einziger Sack voll brachte Salz und Öl für ein ganzes Jahr. Das klebrige, bräunliche Rohopium war deshalb für die Bergbewohner von jeher das Gold unter den Produkten.
    Die Leute aus den Bergen interessierten sich nicht dafür, ob ihre Ware für medizinische Zwecke verarbeitet wurde oder als illegal hergestelltes Heroin in die Hände von Süchtigen geriet. Sie hatten die Mägen ihrer Kinder zu füllen. Niemand sonst tat das. Die Regierung in Bangkok hatte zwar schon vor einigen Jahren den Handel mit Opium verboten, aber das war eine Anordnung, um die sich in den Bergen niemand scherte. Wovon sollte man leben, wenn nicht vom Opium? Die Regierung gab keinen Reis. Sie ließ auch keine Straßen bauen, die in die Berge führten, damit die Bewohner andere Produkte hätten ins Tiefland transportieren können. Ihr war es egal, ob in Muong Nan die Kinder hungerten oder nicht. Die Regierung bestand nur aus Generälen, und die waren am Handel mit dem Rohopium meist beteiligt.
    In Muong Nan hatte niemand Illusionen über die Regierung. Wer sich auf sie verließ, war verloren. Der König redete ab und zu von der Notwendigkeit, etwas für die arme Bergbevölkerung zu tun, aber es sah aus, als könnte er seine Generäle von dieser Notwendigkeit nicht überzeugen. So blieb alles beim alten. Vor einigen Jahren hatte sich dann manches geändert, nachdem die ersten Flugzeuge der Amerikaner über den Bergen erschienen waren. Sie verschwanden bald, aber sie kamen wieder. Zuerst die Hubschrauber, die keine Landebahn brauchten. Mit ihnen tauchte eine neue Art von Händlern auf, die nach und nach die bislang vorwiegend chinesischen Aufkäufer ablöste, die im Tiefland wohnten und meistens für die Bangkoker Generäle oder andere Schieber arbeiteten. Diese neuen Händler sprachen amerikanisch und trugen saubere, frisch gebügelte Uniformen. Sie
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