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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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können.«
    Er meinte eindeutig, ihr und mir; er meinte, hätte sollen.
    Mit einem Schock wurde mir klar, daß es mir gleichgültig war, was sie dachten. Mir wurde klar, daß mein Jack und mein Bart in dieser gefährlichen Wanne gebadet hatten. Ich dachte nur daran, daß es ihnen hätte passieren und viel schlimmer hätte ausgehen können.
    Wir legten den Kindern ihre Mäntel um, und Utsch hielt ihnen die Wagentür auf. Edith winkte nicht und sagte nicht danke schön, als sie, ihre beiden zerschlitzten Kinder an sich gedrückt, dasaß und sich von Severin ins Krankenhaus fahren ließ, wo man sie abklauben und fast so gut wie neu wieder zusammenflicken würde. Als das Auto rückwärts hinausstieß, sah ich zu meiner Freude, daß Edith rauchte.
    Utsch bestand darauf, daß wir das Badezimmer saubermachten. Wir stimmten darin überein, daß sie nicht all das Blut sollten sehen müssen, wenn sie nach Hause kamen. Zusammen schleppten wir den schweren Türrahmen und wenige große Glasstücke zum Abfallcontainer; zusammen saugten wir Splitter aus jedem Spalt. Ich fand ein Stück Glas auf den Borsten einer Zahnbürste liegen; Gefahr war überall. Wir schrubbten dieses Badezimmer fleckenlos sauber, ließen die blutgefüllte Wanne ablaufen, schrubbten die Blutflecken auf der Treppe, steckten alle fleckigen Handtücher in die Waschmaschine und stellten sie an. Mit einem Schraubenzieher pulte ich kleine Glassplitter aus der widerlichen Rinne der Glastür. Mir fiel ein, daß Edith einmal die Fersen gegen diese Tür gestemmt hatte. Ich wußte, wo die frische Wäsche aufbewahrt wurde (Klar weißt du das, sagte Utsch), und wir hängten frische Handtücher auf die Halter. Ich hoffte insgeheim, daß vielleicht auf dem Wannenboden eine Glasscherbe zurückgeblieben war, auf die Severin sich setzen würde.
    Als wir fertig waren, hatten wir keinen Hunger. Severins kalter Tintenfisch war nicht verlockend; er lag tot auf dem Tischtuch, wo Utsch ihn hingekleckert hatte; Ediths verschütteter Wein war hineingelaufen. Das Gericht sah aus wie die fürchterlichen Überreste einer Operation.
    Ich sagte kaum ein Wort, während wir nach Hause fuhren. Utsch brach einmal das Schweigen: »Deine Kinder sind dir wichtiger als alles andere«, sagte sie. Ich gab keine Antwort, aber nicht deshalb, weil ich anderer Meinung war.
    In dieser Nacht wachte ich allein in dem klammen Bett auf. Ein Fenster stand offen, und es regnete. Ich sah überall nach, aber Utsch war auf einem Spaziergang. Wo kann sie bei diesem Wetter hingehen? fragte ich mich. Ich überprüfte die Fenster der Kinder und schloß sie vor dem Regen. Bart lag ins Kissen eingesenkt wie ein Hammer, seine Finger knüllten im Schlaf das Laken. Der schmächtige Jack lag so makellos im Bett wie der Traum eines Tänzers. Aber ich würde keinen Schlaf finden, wie mir klarwurde. Ich überprüfte die Atmung der Kinder: regelmäßig und tief. Ich fand den Regenschirm. Utsch brauchte ihn nicht, wo sie war. Ich wußte, daß sie Severin ihre Schlüssel zur Sport- und Ringerhalle nicht zurückgegeben hatte.
    Ich überlegte. Wenn Utsch mit dem Spazierengehen anfängt, kann ich das auch. Draußen im Regen begrüßte ich die Schlaflosigkeit wie eine launische, zu lange vernachlässigte Geliebte.

10.
Zurück nach Wien
    »Ich gehe bloß dorthin, um allein zu sein«, sagte mir Utsch. »Es ist ein guter Ort, um nachzudenken - um einfach auszuruhen.«
    »Und du könntest ihm dort eines Nachts einfach über den Weg laufen«, sagte ich.
    »Severin geht nicht mehr dorthin«, sagte Utsch. »Er hat sich zurückgezogen, weißt du noch?«
    »Ich bezweifle, daß er sich davon zurückgezogen hat.«
    »Komm das nächstemal mit mir«, sagte sie. »Ich weiß, was du von diesem ganzen Bau hältst, aber bitte komm mit mir und sieh es dir an.«
    »Nachts würde ich dort keinen Fuß hineinsetzen«, sagte ich. »Es ist bloß ein Ort voller Sackratten, die im Dunkeln rumwimmeln.«
    »Bitte. Es ist was Besonderes für mich, und ich möchte, daß du es siehst.«
    »Ja, ich wette, es ist was Besonderes für dich«, sagte ich.
    »Es ist beinahe der letzte Ort, wo ich einen Orgasmus hatte«, sagte Utsch. Sie tat sich wirklich keinen Zwang an. »Ich dachte, wir könnten es vielleicht versuchen.«
    »O nein«, sagte ich. »Auf sowas stehe ich nicht. Das ist nicht mein Stil.«
    »Bitte versuch's doch«, sagte Utsch. »Mir zuliebe.«
    Ich haßte Severin dafür, daß er meine Frau in meinen Augen armselig machte. Aber was konnte ich machen? Ich
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