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Eine Mittelgewichts-Ehe

Eine Mittelgewichts-Ehe

Titel: Eine Mittelgewichts-Ehe
Autoren: John Irving
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Maschinengewehrfeuer, im Bruchteil einer Sekunde gefolgt vom Kreischen beider Kinder. Der Stiel von Ediths Weinglas knackte in ihrer Hand, und sie schrie fürchterlich. Utschs Hand schnellte den Schöpflöffel über die Platte und klatschte den Tintenfisch auf das weiße Tischtuch. Severin und ich waren schon unterwegs nach oben, Severin vor mir, im Rennen stöhnend:
    »O Gott, nein, nein, nein - ich komme!«
    Ich wußte, was passiert war, weil ich dieses Badezimmer, diese Badewanne und Dusche, genausogut kannte wie Severin; ich kannte mein feuchtes Liebesnest. Das Krachen war die gläserne Schiebetür auf dem Badewannenrand gewesen. In vielen Nächten hatten Edith und ich sie gefahrvoll auf- und zugemacht. Altmodisches, schweres, in seinem rostenden Metallrahmen loses Glas, lief die Tür in einer geschwärzten, von alten Seifenresten und winzigen Stückchen von Badewannenspielzeug der Kinder schmierigen Rinne. Zweimal war die Tür aus der Rinne gerutscht, und Edith und ich hatten sie krampfhaft festgehalten und am Umfallen gehindert, während wir sie wieder in ihre Schiene einpaßten. Ich hatte zu Edith gesagt: »Severin soll das mal lieber reparieren.
    Wir könnten uns hier drin verletzen.« Immer wieder hatte Severin ihr gesagt, sie solle es reparieren lassen. »Hol einen Installateur«, sagte er absurderweise.
    Ich hatte immer gewußt, daß Severin, falls die Tür auf Edith oder mich fiele, sich zumindest über die Verletzungen, die sie mir zufügen mochte, freuen würde. Und falls von der fallenden Tür etwas geschnitten werden sollte, hatte ich nie Zweifel, was es sein würde.
    »Ich komme!« schrie Severin einfältig. Ich wußte, daß da Blut sein würde, aber ich war nicht darauf vorbereitet, wie viel. Das Badezimmer sah aus wie der Schauplatz eines Bandenmordes. Die alte Tür war in die Wanne gestürzt und über den nackten Mädchen zerbrochen, das Glas war aus dem Rahmen geplatzt, Scherben und Splitter waren überallhin geflogen; es knirschte unter Severins Schuhen, als er die Arme in die Wanne tauchte. Die Wanne war rosa, das Wasser blutig; man konnte nicht erkennen, wer sich wo geschnitten hatte. Aus dem Hahn strömte immer noch das Wasser, die Wanne eine schäumende See aus Glas und blutenden Kindern. Severin hob Dorabella zu mir heraus; sie zitterte, war bei Bewußtsein, schrie aber nicht mehr; sie überflog ängstlich ihren ganzen Körper, um zu sehen, wo sie verletzt war. Ich zog den Duschknopf und brauste uns alle ab, damit ich erkennen konnte, wo die tiefsten Schnitte waren. Auf der Suche nach durchtrennten Arterien hob Severin den verbogenen Türrahmen über Fiordiligis reizendes Köpfchen und hielt sie unter die Dusche; während sie heulte und zappelte und er ihren Körper nach Schnitten absuchte. Beide hatten eine Vielzahl von granatsplitterartigen Wunden, geschwürgroßen Stichen und Schwellungen auf Armen und Schultern. Ich fand einen tiefen Schnitt bei Dorabella, in ihrem nassen Haar über einem Ohr - einen klaffenden Riß, der ihr Haare und Kopfhaut durchtrennt hatte, fast so lang wie mein Finger, aber nicht ganz bis auf die Schädeldecke. Er blutete kräftig, aber langsam; dort waren keine Arterien. Severin knotete Fiordiligi über dem Knie ein Handtuch ums Bein und verdrehte es zu einer sauberen Aderpresse. Ein Glaskeil wie der Kopf eines breiten Meißels ragte aus Fiordiligis Kniescheibe, und das Blut quoll und strömte, spritzte aber nicht. Beide Kinder standen wahrscheinlich unter Schock und hatten eine langwierige und eklige Glasklauberei im Krankenhaus vor sich. Sie würde lang und schmerzhaft sein, und es würde ein Genähe geben, aber sie würden in Ordnung kommen.
    Ich wußte, daß Severin befürchtet hatte, eine oder beide würden in seinen Armen verbluten oder schon ertrunken und ausgeblutet sein, wenn er sie erreichte. »Sie sind in Ordnung!« schrie ich nach unten, wo Utsch Edith im Arm hielt, die sich nicht von ihrem Stuhl rührte, wie erstarrt dasaß und auf die Nachricht wartete. »Ich rufe das Krankenhaus an«, sagte ich, »und sage ihnen, daß du kommst.«
    Severin nahm mir Dorabella ab und trug beide nackten Kinder zu Edith hinunter; mit weißem Gesicht und bebend, musterte sie voll Verwunderung und Schmerz jede Wunde an jedem Kind, als hätte sie selbst sie verursacht.
    »Bitte greift doch zu«, sagte Edith geistesabwesend. Es war ihr gleichgültig. Sie war sich nur des Vorrangs ihrer Kinder bewußt.
    Severin platzte plötzlich heraus: »Das hätte dir passieren
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