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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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vielen Jahre, ihr ganzes Leben, das sie, so wie ich sie kenne, in dem Glauben verbrachte, sie sei für alles verantwortlich. In denen sie sich die Schuld an allem gegeben haben muss. Aber wie Sie es ausdrücken würden, ich greife vor.
    Als ich sie aus dieser Tür gehen sah, als ich ans Fenster rannte und Cati und meinen Sohn immer kleiner werden sah, bis sie schließlich um die Ecke bogen und verschwunden waren – mir ist vieles im Leben schwergefallen, aber nichts war so schwer wie das. Es war schlimmer, als in die toten Gesichter in einem Graben zu blicken, die, auch wenn ich sie noch so liebte, tot waren. Ich konnte mich zu ihnen gesellen, aber ich konnte sie nicht zurückholen. Cati andererseits – ich hätte gegen das Glas trommeln können, hätte mich hinauslehnen und ihr nachrufen können. Ich hätte ihr nachlaufen können. Ich hätte nur die Hand heben, nur ein Wort sagen müssen, und sie wäre bei mir geblieben. Und dann fand ich ihr Buch. Sie können es sich vorstellen. Wie kann ich Ihnen je dafür danken, mein liebster Freund, dass Sie es mir zurückgegeben haben?
    Nur wenige Tage nach Cati verließ auch ich Mailand. Wozu hätte ich noch bleiben sollen? Meine besonderen Fähigkeiten wurden in Bologna gebraucht, und ich wollte an Ort und Stelle sein, wenn der Sturm losbrach. Wir wussten alle, dass die Kämpfe von den Bergen ausgehen würden, und ich fühlte mich dort heimischer. Zumindest hatte ich das Gefühl, heimkehren zu können. Cati hatte recht. Damals hätte ich die Via degli Dei blind bewältigen können. Vielleicht könnte ich es immer noch. Es stimmt mich traurig, dass ich dazu keine Gelegenheit mehr haben werde.
    Wenn Sie die Berichte des Roten Kreuzes und der CLN studiert haben, haben Sie sich wahrscheinlich zusammengereimt, was in jenem April geschah. Im Großen und Ganzen ist darin alles richtig dargestellt. Ich gehörte zu einer Sabotage-Einheit – allerdings bin ich nicht gestorben. Und Catis Buch wurde in einem Feldlazarett abgegeben – allerdings ohne sie. Bis dahin hatte man mich wissen lassen, dass sie sicher in Neapel angekommen war. Und so spielte sich die Sache damals ab …
    Wir waren zu sechst nach Anzola geschickt worden. Anders als in Florenz kannte ich die Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete, nicht besonders gut – obwohl mir das damals nichts genutzt hatte. Es fielen so viele von uns, dass die Einheiten ständig um- oder neu gebildet wurden. In jener Woche sollten wir dafür sorgen, dass die Eisenbahnstrecke nach Modena sabotiert wurde. Die Alliierten hatten endlich die Gotenlinie durchstoßen. Aber trotz ihrer Bombenabwürfe verlief der Feldzug nicht wie geplant. Sie rollten nicht einfach den Po entlang und scheuchten die Deutschen vor sich her. Immer wieder kam es zu schweren Gefechten. Wenn man tollwütige Hunde in die Ecke treibt, werden sie mit aller Kraft um sich beißen. Wir sollten darum sicherstellen, dass die Zugstrecke nicht dazu benutzt werden konnte, die deutschen Truppen zu evakuieren oder zu verstärken. Natürlich gab es Unterstützung aus der Luft. Mehr, als man sich vorstellen kann. Das, mein Freund, war die Hölle. Trotzdem wurde jemand gebraucht, der sich davon überzeugte, dass die Ziele tatsächlich getroffen worden waren – und nicht mehr zu reparieren waren. Und der alles Nötige unternahm, falls es nicht so war.
    Es gab damals so viele verlassene Bauernhöfe und Häuser; alle, die konnten, waren geflohen. Auf jeden Fall hatten wir ein Haus nicht weit von der Bahnstrecke gefunden – was im Rückblick eine Dummheit war, aber wir waren so unendlich müde. Wir hatten seit fünf Tagen nicht geschlafen. Es gab immer noch Fascisti, und zwar genug, um uns gefährlich zu werden. Und natürlich die Deutschen. Eine ganze Armee auf dem Rückzug. Und Deserteure. Alle waren wütend und verzweifelt und verängstigt. Sie schossen auf alles, was sich irgendwo regte.
    Das Haus, das wir gefunden hatten, war abgeschlossen. Wie nutzlos. Und wie menschlich. Der Schlüssel lag in der Scheune unter einem Blumentopf, in ein geöltes Tuch gewickelt. Wir benutzten ihn, statt einfach ein Fenster einzuschlagen.
    Kurz nach Sonnenaufgang trafen wir dort ein. Wir wollten bis zum Abend warten und uns dann nach Westen durchschlagen, wobei wir Signale zerstören sowie Schienen und Brücken sabotieren würden. Das Haus hatte keinen Keller. Wir blieben im Erdgeschoss und schliefen auf der Stelle ein.
    Wahrscheinlich kurz nach Mittag schreckte ich auf. Alles war still, trotzdem
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