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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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aussehen. Still und leise wie eine Katze glitt er auf den Fahrersitz.
    »Die fünfhundert Euro aus der Brieftasche«, sagte er, »hat sie behalten. Und die Geldanweisungen auch. Die hat sie unten an der Straße wechseln lassen, gar kein Problem. Es gibt dort einen Tabaccaio , der sie unter der Theke einlöst. Sie wollte die Börse im Treppenhaus aus dem Fenster werfen, als sie wieder nach unten ging. Aber das Fenster ist für sie zu weit oben, außerdem lässt es sich sowieso nicht öffnen. Sie wollte nicht noch einmal in Trantementos Wohnung, wo sie über die Leiche hinwegsteigen müsste, und sie hatte Angst, dass sie Fingerabdrücke hinterlassen könnte. Darum ist sie mit der Brieftasche aus dem Haus gelaufen und hat sie in der kleinen Gasse weggeworfen. Danach hat sie die Polizei angerufen. Sie glaubte, er sei beraubt worden, sodass es auf die Brieftasche auch nicht mehr angekommen wäre. Es tut ihr schrecklich leid«, sagte Enzo. »Sie wollte keine Verwirrung stiften. Und sie hat in Rimini ganz ordentlich gewonnen, darum wollte sie Maria Valacci schreiben, sich bei ihr entschuldigen und ihr das Geld zurückzahlen. Ich habe ihr gesagt, wir würden der Sache nicht weiter nachgehen.«
    Pallioti starrte ihn mit offenem Mund an. »Wie in aller Welt …?«, fragte er. »Und warum war sie bei mir so verstockt?«
    »Weil sie Todesangst vor Ihnen hat.«
    Enzo sagte das so freundlich wie möglich, trotzdem trafen die Worte.
    »Dottore«, erklärte ihm Enzo. Er zog an seinem Pferdeschwanz. »Wie sehe ich aus? Wie ein Kind. Ein Taugenichts. Und Sie?«
    »Was stimmt nicht mit mir?«
    »Nichts«, beruhigte ihn Enzo. »Nichts. In ganz Europa hat kein Polizist so viel Sex-Appeal wie Sie.«
    »In ganz Italien«, fuhr Pallioti ihn an.
    »Egal.« Enzo lächelte. »Es ist nicht so, dass etwas nicht mit Ihnen stimmen würde. Mit Ihrem Aussehen. Außer für jemanden, der 1943 im Excelsior arbeitete. Als Zimmermädchen. Ganz unten auf der Rangleiter. Und die dann als Diebin beschuldigt wurde.«
    Pallioti starrte ihn an.
    »Ganz im Ernst«, sagte Enzo sanft, »dieser Winter hieß nicht umsonst ›der Terror‹. Und wie sahen die Gestapo-Männer wohl aus? So wie ich?«
    Pallioti blickte auf seinen schwarzen Kaschmirmantel, den makellosen schwarzen Anzug. Nachdem die Gestapo zumindest theoretisch verdeckt gearbeitet hatte, hatten ihre Polizisten auch keine Uniform getragen. Nichtsdestotrotz hatte man großen Wert auf eine einwandfreie Erscheinung gelegt. Himmler war damals als eitler Pfau verschrien, weil er seine Kleidung maßschneidern ließ, ohne sich um die Kosten zu scheren. Seine Leute waren für ihr korrektes Benehmen bekannt gewesen. Für ihre Höflichkeit. Das waren keine dumpfen Schläger gewesen. Es war für sie Ehrensache, dass sie nie laut geworden waren.
    »Sie kann nichts dafür«, sagte Enzo leise. »Es ist nicht ihre Schuld. Genauso wenig wie Ihre.«
    Pallioti schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Essen.« Enzo klatschte aufs Lenkrad. »Wir brauchen jetzt unbedingt etwas zu essen.«
    Er trat die Kupplung und legte den Gang ein. Sie glitten in den Verkehr zurück, und die Stadt begann sich um sie herum zu bewegen und zu verschieben, bis sie den Wagen verschluckt hatte. Im Strahl der Scheinwerfer sah Pallioti Schatten – von anderen schwarzen Autos. Von Männern in schwarzen Anzügen. Staubgrauen Uniformen und Flaggen, auf denen ein schief stehendes Kreuz mit gebrochenen Armen prangte. Das war jetzt über sechs Jahrzehnte her. Manchmal schien das nicht besonders lang.

39. Kapitel
    Langsam wich der Winter dem Frühling. An Ostern eröffnete Saffy eine neue Ausstellung und kündigte an, dass die Familie Benvoglio, die sonst im September in den Bergen Urlaub machte, im kommenden August zum ersten Mal ans Meer fahren würde. Sie hatten eine Villa auf Sardinien gemietet, die weit mehr Platz als benötigt bot. Saffy wollte in den Bergen auf der Insel Aufnahmen machen und hätte es gern gesehen, wenn Pallioti mitgekommen wäre. Wenigstens eine Woche lang. Am besten den ganzen Monat. Als er einwandte, dass er am Meer nicht »besonders gut aufgehoben« wäre, erklärte sie ihm, er solle sich nicht so anstellen. Woraufhin er meinte, dass er möglicherweise vergessen hatte, was man während der Ferien so macht, und sie erwiderte, dass es genau darum ginge.
    Schließlich schlossen sie einen Waffenstillstand. Aber als es schließlich wärmer wurde, merkte er, dass er immer wieder vor Schaufenstern stehen
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