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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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    Kapitel 1
     
     
    RIMELLA
     
     
    N iccolò roch die heranreifenden Trauben der Rebstöcke, noch bevor seine Augen sich geöffnet hatten. Seine jungen Muskeln ließen den Körper emporschnellen, und er rannte in den Tag, als wäre dieser so verheißungsvoll wie ein luftgetrockneter San-Daniele-Schinken. Und nur für ihn angeschnitten worden.
    Der Wind trug das Parfum der Langhe wie seit Jahrhunderten über die Hügel des Dorfes Rimella. Die Nacht war kühl gewesen und ruhig, das Rascheln der Blätter des alten, weit ausladenden Maronenbaums hatte Niccolòs Träume begleitet und sie weich gebettet. Er hatte von Cinecitta geträumt, der zierlichen Terrierhündin der Bolgheris, die immer so hochwohlgeboren von ihrem schmiedeeisernen Balkon auf das Geschehen der Piazza sah, wo er mit den Jungs lag. Dort behielten sie stets alles im Blick und schnappten nach von der Hitze trägen Mücken.
    Die Morgenwärme lag wie ein Versprechen über Rimella, als Niccolò von den Hügeln herabschoss. Die Sonne stand hinter dem Dorf, und die kleinen Häuser, von denen der farbige Putz alter Haut gleich abblätterte, bildeten eine dunkle, undurchdringliche Mauer. In Niccolòs Hundeaugen gab es nur Schattierungen von Grau. Düfte dagegen, Düfte funkelten in allen Farben.
    Trotz der Geräusche seines Laufs bemerkte er die Veränderung sofort.
    Und er begann seine Pfoten langsamer zu setzen. Dannblieb er ganz stehen, nahe dem Ortsschild, das nun schon seit drei Jahren schief stand, seit dem Tag, an dem der alte Bruno mit dem Motorroller nach einem langen Abend im Wirtshaus dagegen gekracht war. Niccolò stand gerne hier, denn von dieser Stelle aus konnte er beinahe wie ein Vogel auf sein Heimatdorf blicken und beobachten, was auf der Hauptstraße, den drei seitlich davon abzweigenden Gassen und der kleinen Piazza mit dem steingefassten Brunnen vor sich ging. Die Mauersegler zogen in Schwärmen große Kreise über Rimella. Schnell und elegant, ihre langen, dünnen Flügel sichelförmig gebogen, immer wieder ihr durchdringendes Srriiii ausstoßend. Noch waren die Schatten lang, die von den Dächern der Häuser fielen. Sie verbargen vieles, selbst vor Niccolòs ungewöhnlich scharfen Hundeaugen. Doch er meinte, sein Rimella läge zu ruhig da, so als wäre es mitten in der Nacht, als schliefen alle noch in ihren Häusern.
    Niccolòs Augen mochten von der ihm entgegenstehenden Sonne beeinträchtigt sein, seine Ohren waren es nicht. Und sie hörten Merkwürdiges. Die Geräusche schienen wie durch Geisterhand verwandelt.
    Er machte sich auf, den Grund dafür herauszufinden. Seine Schritte hinunter ins Dorf waren langsam, als müsste er sich auf dünnem Eis vorwärtstasten. Kein Auto war zu hören, und was noch ungewöhnlicher war, keine Abgase waren zu riechen, obwohl Niccolò diese lange im Nachhinein erschnuppern konnte. Vor allem der neue Dieseltraktor seines Herrn stieß Gerüche aus, die wie schwere Inseln in der Luft lagen. Doch selbst davon fand sich nichts in der jungfräulichen, von der Nacht geklärten Luft, die von Rimella zu ihm drang.
    Die Ohren zum Dorf hin ausgerichtet horchte Niccolò mit jedem Schritt in den Wind. Kein dumpfer Schlag des Hackbeils vom Metzger Donadoni ertönte, üblicherweise begleitetvon einem zufriedenen Schnaufen, kein Rascheln der Brottüte, die der junge Luca in der Bäckerei der weiblichen Kundschaft immer mit einem verführerischen Lächeln über den Tresen reichte, kein Saugen, Gurgeln und Sprotzeln der Espressomaschine in Marcos kleiner Trattoria, kein scharfes Klacken der Scheren in Signorina Elisabethas Friseursalon, den viele Frauen als Freudenhaus verspotteten, da Elisabetha es nicht einsah, ihre geschäftsfördernd kurzen Röcke gegen damenhaftere Längen einzutauschen.
    Nichts von alldem trug der Wind zu Niccolò. Denn nichts von alldem geschah.
     
    Aurelius’ Blut floss heiß durch die Adern, das Bild vor seinem einen verbliebenen Auge hatte es hochkochen lassen, denn es verhieß ein Lob von Grarr. Und genau ein solches brauchte er, um wieder näher an dessen Macht zu kommen.
    Der Hügel erstreckte sich unter ihm. Aurelius warf seinen Blick darauf, er sah für Grarr, verschmolz für diesen mit der kargen Natur, als sei er der Rumpf eines vom Sturm geknickten Baumes. Sein graubraunes Fell glich der Erde, auf der er stand, war ein Teil von ihr.
    Dies war das Land der Wölfe, hier herrschten sie. Hier herrschte Grarr.
    Für einen alten Wolf, der im Kampf sein rechtes Auge verloren hatte, einen
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