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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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Nachrichten an. Eine Sprecherin plapperte lautlos vor sich hin.
    »Möchten Sie mir wirklich gar nichts sagen?«, fragte Pallioti nach.
    Diesmal schüttelte sie immerhin den Kopf. Dann senkte sie den Blick wieder auf ihre Füße.
    Allmählich kam sich Pallioti lächerlich vor. Schließlich zupfte er an seinen Hemdsärmeln, rückte die Manschettenknöpfe zurecht – winzige Ovale aus glänzend schwarzem Onyx in einer schmalen Goldfassung – und erhob sich. In seinem schwarzen Mantel und dem schwarzen Anzug überragte er sie bei Weitem. Marta Buonifaccio sah nicht auf.
    »Danke, dass Sie mich empfangen haben«, sagte er schließlich. »Ich finde schon selbst hinaus.«

    »Heilige Muttergottes! Was haben die alten Frauen nur gegen mich?«
    Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Enzo zu, wie Pallioti sich auf den Beifahrersitz sinken ließ.
    »Sie wollte nicht mit mir sprechen«, erklärte Pallioti. »Kein Wort. Sie ließ mich in ihre Wohnung, gut. Eigentlich wollte sie nicht einmal das, trotzdem hat sie es getan – und sie hat mir sogar einen Stuhl angeboten. Dann blieb sie vor mir stehen, ohne ein Wort zu sagen.«
    »Sie hat nicht abgestritten, dass sie die Brieftasche genommen hat? Oder das Geld?«
    »Nein. Sie sagte einfach gar nichts. Keinen Ton.« Pallioti hob die Hände und ließ sie auf die Knie fallen. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich war überzeugt, dass ich recht habe. Aber wer weiß? Wer weiß? Vielleicht wurde Giovanni Trantemento doch überfallen und ausgeraubt und hatte nur zufällig ein Pfund Salz zum Mittagessen verschluckt. Inzwischen ist das sowieso bedeutungslos«, murmelte er, wohl wissend, dass er sich anhörte wie ein schmollender Teenager. »Ich hätte es nur gern gewusst«, ergänzte er. »Ich wollte die einsame alte Frau doch nicht ins Gefängnis stecken.«
    Enzo hatte seinem Ausbruch wortlos zugehört und sah ihn jetzt an.
    »Was für eine Geschichte hat sie?«
    »Was für eine Geschichte?«
    »Genau. Kennen Sie sie?«
    Wieder warf Pallioti die Hände in die Luft. Natürlich kannte er ihre Geschichte. Marta Buonifaccio war, genau wie jeder andere, im Kielwasser der Nachforschungen aufgetaucht, die Guillermo nach Abschluss der Ermittlungen angestellt hatte.
    »Während des Krieges, meine ich.«
    »Sie war – ich weiß nicht, was das damit zu tun haben sollte –, sie war Zimmermädchen im Excelsior. Sie wurde, ich weiß nicht genau, entlassen oder gefeuert. Weil sie gestohlen haben soll. Darum war ich mir so sicher.«
    »Und danach?«
    »Danach – danach zog sie zu ihrer Tante. Auf einen Bauernhof.« Pallioti verstummte kurz, weil ihm bewusst wurde, was er da sagte. »Am Monte Sole«, sagte er dann leise. »Die Tante starb, so wie alle anderen. Alle außer ihr starben. Bei dem Massaker.«
    »Im September 1944.«
    Pallioti nickte und fragte sich gleichzeitig, wann genau er zu einem so unsensiblen Klotz geworden war. Er hatte die arme Frau kein einziges Mal nach ihrer Familie gefragt.
    »Danach«, erzählte er, »kehrte sie nach Florenz zurück. Irgendwie. Sie heiratete. Begann ein neues Leben.« Er überlegte kurz. »Trotzdem verstehe ich nicht, was das hiermit zu tun haben soll.«
    Enzo zuckte mit den Achseln. »Ich auch nicht so genau.« Er öffnete die Fahrertür.
    »Wo wollen Sie hin?«, fragte Pallioti.
    »Bin gleich wieder da.« Enzo steckte lächelnd den Kopf in den Wagen. »Der Motor läuft. Wenn es Ihnen kalt wird, drehen Sie einfach die Heizung auf.«
    Er knallte die Tür zu, schlug den Kragen der Lederjacke nach unten und fing die Tür zum Palazzo ab, aus der gerade ein Pärchen trat. Die beiden sahen ihn erschrocken an. Er sagte etwas zu ihnen, das sie zu beruhigen schien. Gleich darauf nickten sie, lächelten breit und spazierten Arm in Arm auf dem Gehsteig davon.
    Pallioti trommelte mit den Fingern auf das Armaturenbrett. Er beschloss, von hundert abwärts zu zählen, und wettete insgeheim, dass Enzo zurück wäre, bevor er die fünfzig erreicht hatte. Bei zweiunddreißig gab er auf und spielte am Radio herum, bis er auf die Ausstrahlung einer Turandot- Aufnahme stieß, die vor einigen Jahren gemacht worden war.
    Er war gerade zu dem Schluss gekommen, dass er sich doch geirrt und Marta Buonifaccio die Männer ermordet hatte, Enzo eingeschlossen, und er fragte sich bereits, wie lange er noch warten sollte, bis er Verstärkung rief, als plötzlich die Haustür aufschwang und Enzo Saenz heraustrat. Das Licht der Laterne hob sein Profil hervor und ließ ihn falkenhaft und finster
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