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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Autoren: Karim El-Gawhary
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Willkommen im neuen Arabien

    Auf dem Abdel-Moneim-Riad-Platz im Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist, einen Tag nach dem Sturz des Pharaos Hosni Mubarak, sein persönlicher Beitrag zur ägyptischen Revolution.
    Noch vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Rollstuhl wahrscheinlich an einer der Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Doch an diesem Tag lächelt er und antwortet auf die Frage, was er denn da mache, mit einem kurzen: „Das ist jetzt mein Land.“ Dann taucht er den Pinsel wieder ein und beugt sich in Zeitlupe wieder herunter. Gibt es ein besseres Symbol dafür, wie nicht nur dieser Mann, sondern ein ganzes Land seine Würde wiedergefunden hat?
    Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011 den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer wieder friedlich auf die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. Was da geschah, mutete wie ein modernes Politmärchen an, dessen Inspirationskraft sich kaum jemand entziehen konnte. Und es blieb nicht bei einem Land – es wurde die Zeit der Tausendundeinen Revolution.
    ***

    Es ist ein Privileg, ein wahres Geschenk des Schicksals, als Journalist und Zeitzeuge live in Tunis, Kairo und Bengasi dabeigewesen zu sein. Vor 20 Jahren habe ich während der Operation Wüstensturm von Bush Senior aus der Region zu berichten begonnen. Ich habe zwei palästinensische Intifadas begleitet, einen weiteren Krieg im Irak, diesmal mit Bush Junior, einen im Libanon, einen im Gazastreifen. Während der Präsidentschaftswahlen im Iran musste ich das Scheitern des grünen Aufstands gegen Ahmadinedschad miterleben. Es waren allesamt besondere, meist tragische Momente, aber auch verbunden mit dem Gefühl, gerade an dem Ort zu sein, an dem etwas Wichtiges geschieht, etwas, das die Welt zum Teil wochenlang in Atem hielt. Die Geschichten aus diesen Zeiten waren meist traurige Geschichten, von Menschen, die in diesen Kriegen lebten und überlebten und nicht selten starben. Viele Bekannte und sogar enge Freunde, die bei sinnlosen Anschlägen ums Leben kamen, habe ich über die Jahre verloren. All die Kriege und Attentate hatten eines gemeinsam: Sie brachten kaum Veränderungen und wenn, dann meist zum Schlechteren.
    ***

    Als ich Anfang Januar in Tunis am Flughafen an der Passkontrolle stand, bekam ich eine Gänsehaut, nicht vor Angst, sondern vor gespannter Erwartung. Als mich der Grenzbeamte im revolutionären Tunesien begrüßte, fragte er mich, was ich über „ihre“, die tunesische, Revolution denke. Ein arabischer Polizist sprach von „unserer Revolution“, mit mir, einem Journalisten, der ein paar Wochen zuvor für die Einreise zur Arbeit als Reporter im Polizeistaat Tunesien kein Visum bekommen hätte. Jetzt stempelte er die Einreiseerlaubnis beiläufig während des Gesprächs in meinen Pass und wünschte mir einen angenehmen revolutionären Aufenthalt. Bei der Annahme des Gepäcks drehte ich mich mehrmals ungläubig zu dem Beamten um. „Willkommen im neuen Arabien“, dachte ich mir und hatte keine Ahnung, welcher weitere Wirbelwind meiner Region bevorstand.
    Die bekam ich erst, als die Tunesier immer wieder fragten, wann es bei uns in Ägypten losgehe. „Sobald ich zurück zu Hause bin“, witzelte ich, und hatte wieder keine Ahnung, wie schnell dieser Scherz Wirklichkeit werden würde. Ich war gerade zurück in Kairo, da hatten die ägyptischen Jugendlichen via Facebook für ihre eigenen Tage des Zorns mobilisiert. Meine revolutionäre journalistische Achterbahnfahrt wollte nicht aufhören.
    Gut, dachte ich mir, wenn die Umwälzung in Ägypten klappt, dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, dem Herzstück der arabischen Welt, der Umm El-Dunia, der Mutter der Welt, wie die Ägypter ihr Land nennen, dann, da war ich mir sicher,
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