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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste
Autoren: Lucretia Grindle
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dümmsten Fehler überhaupt. Er ließ sich von seinen Gewohnheiten leiten. Ich kannte inzwischen die Nebenstraßen hinter seinem Anwesen und hatte ein Versteck gefunden, von dem aus ich sein Tor beobachten konnte. Bei Anbruch der Dämmerung machte ich mich auf den Weg und kam dort im ersten Tageslicht an. Ich sah ihn aus dem Haus kommen und war kurz darauf selbst hinten am Waldrand. Ich wartete schon auf ihn, als er aus dem Wagen stieg. Als ich ihn rief, drehte er sich zu mir um, und ich schoss. Ich hatte keine Zeit, ihn hinknien und Salz essen zu lassen. Weil die Gefahr bestand, dass er an seine Waffe kam, musste ich mich darauf beschränken, das Salz in seinen Mund und in seine Taschen zu füllen. Übrigens vielen Dank für das Kompliment wegen der Handschuhe. Das Paar gehörte meinem Schwiegersohn und ging vor über einem Jahr verloren. Ich zog sie über meine eigenen Handschuhe und übte sogar, damit zu schießen. Denn schon der erste Schuss musste treffen. Nachdem er tot war, zog ich sie aus, streifte sie über seine Hände und legte den Leichnam zurecht.
    Den Hund band ich an. Dann, zuletzt, ließ ich die Waffe liegen. Damit war es vorbei.
    Da wäre noch eines. Ihre Eleanor Sachs. Oder Faber, wie sie sich inzwischen nennt, glaube ich. Der Name Fabbionocci sagte mir tatsächlich etwas. So hieß Lodovico mit Nachnamen.
    Ich habe lange mit mir gehadert, doch letzten Endes habe ich sie nicht angerufen. Wahrscheinlich war das egoistisch, aber ich wollte die wenige Zeit, die mir noch verblieben war, ungestört mit meinen beiden Töchtern verbringen. Cosimo hatte ich damals alles erzählt, aber meine Töchter hatten nie etwas von meiner Vergangenheit erfahren. Cosimo sagte immer, er würde es mir überlassen, wie viel ich ihnen erzählte und wann ich es tun würde. Ich habe nie etwas gesagt. Wir führten damals Krieg, um mit der Vergangenheit abzuschließen, nicht, um sie für alle Zeiten am Leben zu erhalten.
    Sie werden feststellen, dass ich Catis Buch weder meinen Töchtern hinterlassen noch verbrannt habe – obwohl ich zugegebenermaßen mit dem Gedanken gespielt habe. Stattdessen gebe ich es Ihnen zusammen mit zwei weiteren Souvenirs zurück. Ich vertraue Ihrem Urteil, mein Freund. Tun Sie damit, was Sie für richtig halten.
    Ich habe nie herausfinden können, wo Mama begraben wurde, aber ich habe Carlo und Papa und Rico nach jenem Morgen in Siena einen letzten Besuch abgestattet. Ich wollte ihnen erzählen, was ich getan hatte, und ihnen erklären, dass sie endlich frei waren.
    Ich brachte ihnen ein letztes Mal Blumen. Lauter Rosen. Falls Sie dorthin kommen, werden Sie dort eine Karte finden – die inzwischen wohl ziemlich mitgenommen aussieht. Aber wenn Sie den Text noch entziffern können, werden Sie feststellen, dass sie dieses Mal nicht von »Gedenkt der Gefallenen«, sondern von mir stammt – Issa.
    Oder, wenn Sie es vorziehen, Il Spettro.
    Eine Weile blieb Pallioti wie erstarrt sitzen und blickte ins Leere. Der Brief lag in seiner Hand, der Umschlag neben ihm auf der Bank. Er hob ihn auf und wollte ihn schon zu dem kleinen roten Buch in die Tasche stecken, als er merkte, dass noch etwas darin lag. Zwei weitere Souvenirs.
    Er drehte den Umschlag um und klopfte auf den Boden. Ein Ring fiel in seine Hand, ein ihm wohlbekannter Reif voller Rubine und ein Foto.
    Das Fotopapier war brüchig geworden. Pallioti nahm es an einer Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger und hob es vorsichtig an. Auf der Rückseite stand in verblichener Tinte: Issa und Carlo, 10. Mai 1944 .
    Er drehte es um und sah, dass die Gestalten ausgeblichen waren. Sie wirkten fast geisterhaft, so, als würden auch sie nun endlich gehen können. Aber sie waren immer noch zu erkennen. Ein Mädchen mit kurz geschnittenen Haaren, in Männerhosen und Hemd stand vor einem großen, blonden Jungen. Die aus den aufgekrempelten Ärmeln ragenden Arme waren fest um ihre Schultern geschlungen. Sie sah lachend zu ihm auf. Um sie herum blühte eine Wiese. Hinter ihnen ragten die Berggipfel in einen Himmel auf, der damals bestimmt in strahlendem Blau geleuchtet hatte.

Epilog

    Pittsburgh, Pennsylvania
    August 2007

Das Haus lag in einer baumbestandenen Straße. Äste wölbten sich über die Fahrbahn und ließen kleine, propellerförmige Samen auf den Asphalt regnen. Wurzeln schoben die Betonplatten der Gehwege nach oben. Die Häuser waren eher klein. Jedes stand auf seinem eigenen kleinen Rasenhandtuch. Vor jedem gab es einen betonierten Gartenweg. Manche
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