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Pünktchen und Anton

Pünktchen und Anton

Titel: Pünktchen und Anton
Autoren: Erich Kästner
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DIE EINLEITUNG IST MÖGLICHST KURZ
    Was wollte ich gleich sagen? Ach ja, ich weiß schon wieder. Die Geschichte, die ich euch diesmal erzählen werde, ist höchst merkwürdig. Erstens ist sie merkwürdig, weil sie merkwürdig ist, und zweitens ist sie wirklich passiert. Sie stand vor ungefähr einem halben Jahr in der Zeitung. Aha, denkt ihr und pfeift durch die Zähne: Aha, Kästner hat geklaut!
    Hat er aber gar nicht.
    Die Geschichte, die in der Zeitung stand, war höchstens zwanzig Zeilen lang. Die wenigsten Leute werden sie gelesen haben, so klein war sie. Es war eine Notiz, und darin hieß es bloß, am Soundsovielten sei in Berlin das und das los gewesen. Ich holte mir sofort eine Schere, schnitt die Notiz aus und legte sie behutsam in das Kästchen für Merkwürdigkeiten. Das Kästchen für Merkwürdigkeiten hat mir Ruth geklebt, auf dem Deckel ist ein Eisenbahnzug mit knallroten Rädern zu sehen, daneben stehen zwei dunkelgrüne Bäume, und darüber schweben drei weiße Wolken, rund wie Schneebälle, alles aus echtem Glanzpapier, wundervoll.
    Den paar Erwachsenen, die außer mir die Geschichte gelesen haben mögen, ist sie bestimmt nicht aufgefallen. Die Notiz war für sie aus Holz. Wieso aus Holz?
    Das meine ich so:
    Wenn ein kleiner Junge ein Stück Holz unterm Ofen vorholt und zu dem Holz »Hü!« sagt, dann ist es ein Pferd, ein richtiges lebendiges Pferd. Und wenn der große Bruder sich kopfschüttelnd das Holz betrachtet und zu dem kleinen Jungen sagt: »Das ist ja gar kein Pferd, sondern du bist ein Esel«, so ändert das nicht das geringste daran. Und mit meiner Zeitungsnotiz war es ähnlich. Die anderen Leute dachten: Na ja, das ist eben eine Notiz von zwanzig Zeilen. Ich aber murmelte »Hokuspokus!«, und da war's ein Buch.
    Ich erzähle euch das aus einem ganz bestimmten Grunde. Man wird, wenn man Geschichten schreibt, sehr oft gefragt: »He, Sie, ist das, was Sie geschrieben haben, auch wirklich passiert?« Besonders die Kinder wollen das immer genau wissen. Da steht man dann da mit seinem dicken Kopf und zieht sich am Spitzbart. Manches in den Geschichten ist natürlich wirklich passiert, aber alles? Man ist doch nicht immer mit dem Notizblock hinter den Leuten hergesaust, um haarklein nachzustenographieren, was sie geredet und getan haben! Oder man wußte noch gar nicht, als ihnen dies und das zustieß, daß man jemals darüber schreiben würde! Ist doch klar, nicht?
    Nun stellen sich aber viele Leser, große und kleine,  breitbeinig hin und erklären: »Sehr geehrter Herr, wenn das, was Sie zusammengeschrieben haben, nicht passiert ist, dann läßt es uns eiskalt.« Und da möchte ich antworten: Ob wirklich passiert oder nicht, das ist egal. Hauptsache, daß die Geschichte wahr ist! Wahr ist eine Geschichte dann, wenn sie genauso, wie sie berichtet wird, wirklich hätte passieren können. Habt ihr das verstanden? Wenn ihr das verstanden habt, habt ihr ein wichtiges Gesetz der Kunst begriffen. Und wenn ihr's nicht verstanden habt, dann ist es auch nicht schlimm. Und damit ist die Einleitung schon zu Ende, hurra!
    Nun weiß ich aus Erfahrung, daß manche Kinder solche Überraschungen, wie eben die mit dem Holz und dem Pferd und der Wirklichkeit und der Wahrheit, sehr gern lesen. Andere Kinder essen lieber drei Tage nichts als Haferschleim, ehe sie sich an so kniffliche Dinge heranwagen. Sie haben Angst, ihr kleines, niedliches Gehirn könnte Falten kriegen. Was soll man da: machen?
    Ich weiß einen Ausweg. Ich werde alles, was in diesem Buch mit Nachdenken verbunden ist, in kleine Abschnitte zusammenfassen, und den Mann, der das Buch  druckt, werde ich bitten, daß er meine »Nachdenkereien« anders druckt als die Geschichte selber. Er soll die Nachdenkereien schräg drucken, genau wie diese Einleitung. Wenn ihr also etwas Schräggedrucktes seht, dann könnt ihr es überschlagen, als ob es gar nicht dastünde. Kapiert? Ich hoffe, daß ihr verständnisvoll mit den Köpfen nickt.
    Was wollte ich gleich noch sagen? Ach ja, ich weiß schon wieder. Ich wollte sagen: Nun kann die Geschichte anfangen.

Erstes Kapitel - PÜNKTCHEN SPIELT THEATER
    A l s Herr Direktor Pogge mittags heimkam, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte entgeistert ins Wohnzimmer. Dort stand nämlich Pünktchen, seine Tochter, mit dem Gesicht zur Wand, knickste andauernd und wimmerte dabei. H a t sie Bauchschmerzen? dachte er. Aber er hielt die Luft an und rührte sich nicht von der Stelle. Pünktchen streckte der silbern
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