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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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braunen Augen war nicht zu übersehen.
    »Und ich bin frei .«

Kapitel 54
    In der Notaufnahme waren zwei stämmige Krankenpfleger gerade dabei, einen Saufbold in einen Rollstuhl zu ringen, während eine jähzornige alte Frau der harmlosen Stationsschwester unverständliche Feindseligkeiten entgegenbellte, ihr mehrmals die Taschenuhr mopste und sie dann kichernd auf den Boden fallen ließ.
    Über den Reihen der Kranken, Bierseligen und Gestörten, die die orangeroten Plastikstühle bevölkerten, ragte der bandagierte Kopf ihres Vaters auf wie ein verschneiter Berggipfel. Als Beth zu ihm trat, sah er von dem abgegriffenen Taschenbuch auf, in dem er las. Der Anblick von Pens Gesichtsverletzungen hatte Paul all seine Sünden ausgetrieben. Er hatte gehetzt vor sich hin gestarrt, nachdem die Pfleger sie in den OP -Trakt geschoben hatten, und ausnahmslos jeden, der dort herauskam und einen Kittel trug, mit Fragen und glühendem Dank bombardiert.
    »Wie geht’s ihr?«, fragte er.
    Beth zuckte mit den Schultern. »Ihr Herz ist jedenfalls besser in Schuss als ihr Gesicht. Ich glaub, sie wird klarkommen.«
    »Gott sei Dank.« Er sank erleichtert in seinen Sitz. »Und dir?«
    Beth sah sich ein wenig verstohlen um, dann zog sie mit einem Ruck den Kragen ihres Kapuzenpullis bis über den Träger ihres BH s. Die fettige, gezackte Wunde in ihrer Schulter war so gut wie verheilt, neue gräuliche Haut bildete sich darüber. Eine hässliche, wellige Naht aus Teer lief hindurch wie eine Narbe.
    Ihr Vater erstarrte für einen Moment, dann schluckte er hart und nickte.
    Gewöhn dich dran , dachte Beth. Daddys kleines Mädchen hat jetzt die Stadt in der Haut . Ihr Blick streifte das Buch auf dem Schoß ihres Vaters. Geheimsache Eiserner Kondor . Sie lachte laut auf. »Du hast das die ganze Zeit mit dir rumgeschleppt?«
    Er wiegte es beschützerisch. »War das Lieblingsbuch deiner Mutter.«
    Beth seufzte. »Japp, weiß ich, Dad.«
    Er richtete sich auf, schien sich für etwas zu wappnen. Dann hielt er Beth das Buch hin. »Bin durch damit.«
    Verblüfft sah Beth ihn an.
    »Du solltest es gelegentlich mal lesen«, sagte er.
    Beth blätterte durch die Seiten, befühlte das flockige Papier, das nach der jahrelangen Lektüre kurz davor war auseinanderzufallen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    Paul streckte ihr seine Arme entgegen, und sie umarmte ihn, drückte sich ganz eng an seine Brust. Unsichere Fingerspitzen betasteten einen Moment lang ihren Nacken, strichen über die asphaltartige Textur ihrer Haut. Dann hüllte seine Umarmung sie ein. »Beth, ich weiß, ich hab dir nicht – ich will’s wiedergutmachen – ich meine, mir ist klar, wie viel ich dir schuldig ge–«
    Er verstummte verblüfft, als Beth sich leicht von ihm löste und eine Hand auf seinen Mund legte.
    Deals sind heilig . Sie dachte an die ölgetränkten symmetrischen Männer. Unsre Gleichungen halten stets die Balance . Fils Körper inmitten der Trümmer, verwundet von seinem eigenen Speer, ausgeblutet.
    Du hast mir zweimal das Leben gerettet. Was mich angeht, heißt das, ich schulde dir was.
    Sie hatte durch diese brutale mathematische Aufrechnerei schon zu viel verloren. »Es geht nicht darum, wer wem was schuldet, Dad. Darum kann’s gar nicht gehen.« Sie lehnte sich zurück, um ihm in die Augen zu schauen. »Versuchen wir’s einfach noch mal von vorn.«
    Der alte Säufer in der Ecke fing an, schrill herumzujaulen, und sie ließen einander los. Beth schniefte zurück, was ihr wie ein ganzer Eimer Nasenschleim vorkam, und blickte auf das Buch, das ihr Vater ihr gegeben hatte. Ein akkurat gefaltetes weißes Blatt Papier lugte zwischen den letzten Seiten hervor.
    »Was ist das?«
    Paul wirkte verlegen. »Ich dachte, vielleicht möchtest du ein bisschen mehr über ihn wissen.«
    »Über wen?«
    Er runzelte die Stirn, als verstünde sich das von selbst. »Über den Jungen, mit dem du herumgezogen bist.«
    Ein Schauer wie krabbelnde Insektenfüße lief Beth über den Rücken. Mit tauben Fingern faltete sie das Blatt auseinander. Es war der Ausdruck einer Seite aus dem Onlinearchiv des Evening Standard . Das Foto zeigte ein abgehärmt aussehendes Paar, das flehentlich in die Kamera blickte. Die Schlagzeile lautete:
    Suche nach Williams-Baby abgebrochen
    Stumm begann Beth, den Text zu lesen.
    Zweihunderteinundachtzig Tage nach dem Verschwinden des acht Monate alten Michael Williams aus der Wohnung seiner Eltern hat die Polizei die aktive Suche nach dem Jungen für
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