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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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an einer Kreuzung. »Wie sieht’s aus, B? Dieses Rattenloch von einer Schule wird nicht mehr dasselbe sein ohne dich.«
    Beth biss sich auf die Lippe. Sie war wieder zu ihrem Vater gezogen, zumindest nominell, und es klappte ganz gut. Inzwischen fühlte sie sich dort wieder sicher, doch den größten Teil ihrer Freizeit verbrachte sie immer noch in den Straßen. Und manchmal, besonders nach einem Regenguss, wenn sie in der hereinbrechenden Dämmerung zu den monolithischen grauen Hochhäusern hinaufschaute, zum Licht der Natriumdampflampen, das die Wolken benetzte, spürte sie eine Anziehungskraft.
    Wenn du das hier tust , sagte eine Stimme in ihrer Erinnerung, gibst du alle Sicherheit auf, gibst du dein Zuhause auf, für immer .
    Beth wusste nicht, ob ein Einzelbett in einem winzigen Reihenhäuschen je wieder ihr Zuhause werden würde.
    »Lass mich einfach wissen, wie du dich entscheidest«, sagte Pen, dann: »Kommst du mit?«
    Beth schüttelte den Kopf und deutete auf die Straße vor ihnen. Sie wollte noch ein bisschen länger draußen in ihrem Element bleiben. Sie schenkte Pen ein Lächeln und trabte los, die Straße hinauf.
    Pen winkte zum Abschied und sah zu, wie Beth davonlief. Sie war so kurz davor gewesen, ihr die Sache mit Dr. Salt zu erzählen – die Worte hatten ihr schon ganz weit vorn auf der Zungenspitze gelegen – , aber dann hatte sie gezögert, weil sie wusste, wie Beth reagieren würde. Sie wäre fassungslos und voller Wut, und sie würde sich selbst die Schuld geben.
    Pen fragte sich, an welchem Punkt ihrer Freundschaft sie diejenige geworden war, die Beth beschützte. Was Salt anging … Pen hatte noch immer die Kleider, die sie an dem Tag getragen hatte, an dem er … sich ihr aufgezwungen hatte. Sie waren zusammengeknüllt unter ihrem Bett versteckt – Pen hatte zu große Angst davor gehabt, dass ihre Mutter sie finden könnte, um sie in die Wäsche zu legen. Jetzt war sie dankbar dafür. Sie angelte ihr Handy aus der Tasche. Heute Morgen hatte sie die Nummer der nächsten Polizeistation herausgesucht und gespeichert. Ein Gefühl der Beklemmung legte sich ihr um die Brust. Würden sie ihr glauben? Und selbst wenn sie es taten, würden sie irgendetwas unternehmen? Sie drückte auf Wählen. Sie musste es versuchen.
    Und falls sie ihr nicht glaubten – hatte sie immer noch eine Freundin, die ganz ordentlich mit einem eisernen Speer umgehen konnte, und das war immerhin beruhigend zu wissen.

Kapitel 57
    Die Dämmerung kroch heran. Beth beschloss, die Abkürzung durch den Park zu nehmen. Das nasse Gras schmatzte leise zwischen ihren Zehen. Die Schatten unter den Bäumen und den Gerüsten der Schaukeln wurden länger, ausschweifender. Die Wolken über den Hochhäusern verdüsterten sich, bis sie beinahe dieselbe Farbe hatten wie die Betonmauern, deren Kanten unscharf mit dem Himmel verschwammen.
    Beth beugte die Finger. Der Eisenspeer lag unter ihrem Bett, und jede Nacht, wenn es dunkel wurde, fragte sie sich, ob heute nun endlich die Nacht sei, in der sie ihn hervorholen würde, um dann durch das Fenster zu klettern und hinaus in die Straßen zu stürmen.
    Mir ist jeder Quadratzentimeter Londons als Nachtlager recht. Willkommen in meiner guten Stube.
    Das durchdringende Jammern eines weinenden Babys riss sie aus ihren Gedanken, gerade als sie sich dem Westtor des Parks näherte. Sie blickte sich um, doch außer ihr war niemand zu sehen. Das Geräusch drang aus den Büschen direkt neben dem Eisenzaun, der den Park von der Straße trennte. Ein verrückter Gedanke schoss Beth durch den Kopf, und sie fing an zu laufen.
    Halb überwuchert vom Unkraut am Fuß des Gitters lag eine alte Kalksteinstatue auf der Seite im hohen Gras. Sie war nur grob behauen, ihre Züge waren in Hunderten von Jahren völlig verwittert. Irgendwer hatte immer wieder Initialen und Tags hineingekratzt. Das Babygeschrei drang aus den Poren im Stein.
    Beth wagte kaum zu atmen, als sie einen großen Kiesel aufhob und ihn gegen die Statue schlug, nicht sonderlich hart, fast wie ein Klopfen. Der Stein brach wie Eierschalen. Ihre Finger zitterten leicht, während sie die Bruchstücke vorsichtig entfernte.
    Im Inneren lag das Baby, zusammengerollt in seiner Wiege im Herzen des Steins. Es öffnete seine verklebten Augen und schob einen Arm durch das Loch, das Beth in die Statue geschlagen hatte. Zielstrebig griff es an ihr vorbei und krümmte seine fleischigen Finger um eine der Eisenstangen. Sofort hörte es auf zu weinen. Die Haut
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