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Schenk mir diese Nacht

Schenk mir diese Nacht

Titel: Schenk mir diese Nacht
Autoren: Carole Mortimer
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1. KAPITEL
    Gaye hob den Kopf, als der Mann lässig den Korridor entlang auf das Schwesternzimmer zuschlenderte, in dem sie saß und telefonierte. Er schien es nicht eilig zu haben, im Gegenteil, er tat fast so, als hätte er alle Zeit der Welt. Ein höchst ungewöhnliches Verhalten in einer privaten Entbindungsklinik, in der die männlichen Besucher entweder gerade Vater geworden waren oder es zumindest bald sein würden. Auf jeden Fall jedoch hatten sie es normalerweise wesentlich eiliger, zu ihren Ehefrauen oder Partnerinnen zu gelangen, als offenbar dieser Mann.
    Ein Vater wider Willen, entschied Gaye geringschätzig. Sein zögernder Gang gestattete es ihr allerdings, ihn in aller Ruhe zu betrachten, während sie darauf wartete, dass sich endlich am anderen Ende der Leitung jemand meldete. Und dieser Mann war zweifellos einen zweiten Blick wert - selbst für Gayes kritischen Geschmack ...
    Er war über einsachtzig und hatte dichtes, ein wenig lockiges goldblondes Haar und ein so attraktives Gesicht, dass es beinahe zu perfekt gewirkt hätte, wäre da nicht die leicht schiefe Nase gewesen. Allem Anschein nach hatte er sie sich in der Jugend gebrochen und nicht fachmännisch operieren lassen, sodass sie nun seinen aristokratischen Zügen einen etwas überheblichen Ausdruck verlieh. Der dunkle Anzug stammte zweifellos von einem exklusiven Schneider, und das strahlende Weiß des Hemdes betonte den sonnengebräunten Teint des Mannes.
    Die Bräune wurde noch deutlicher, als er Gayes Tisch erreichte und sie mit ebenmäßigen weißen Zähnen anlächelte.
    "Hallo", begrüßte er sie freundlich. Winzige Lachfältchen erschienen um seine sinnlichen Lippen. Sein Blick verriet unverhohlene Bewunderung.
    Wie hypnotisiert, legte Gaye die Hand auf die Sprechmuschel und ließ den Apparat am anderen Ende der Leitung läuten. Noch nie zuvor hatte sie solche Augen gesehen! Sie hatten einen tiefen, warmen Goldton und schienen das Licht einzufangen.
    Augen wie die eines Löwen. Unglaublich.
    Da der Mann jedoch Mitte bis Ende dreißig war, hatte er sicher bereits häufiger erlebt, welche Wirkung sein Äußeres auf das weibliche Geschlecht ausübte, und deshalb bemühte Gaye sich um einen besonders sachlichen Tonfall, als sie ihm antwortete: "Kann ich Ihnen helfen?"
    "Ich bin sicher, das können Sie, Schwester ... Royal." Ein kurzer Blick auf das kleine Schild an ihrer Uniform hatte ihm ihren Namen verraten. "Mein Name ist Hunter, und ..."
    "Hunter!" wiederholte sie scharf, legte den Hörer zurück auf den Apparat und stand unvermittelt auf. "Ich wollte Sie gerade anrufen. Wir versuchen schon seit über einer Stunde, Sie zu erreichen."
    "So?" Ihre heftige Reaktion schien ihn zu überraschen. "Nach meinen Informationen wurde Abbie erst vor ein paar Stunden eingeliefert."
    "Mit vorzeitigen Wehen. Jawohl." Blitzschnell überlegte sie, welche Kittelgröße er wohl brauchen würde. "Mrs. Hunter befindet sich auf dem Weg in den OP. Wenn wir uns beeilen, können Sie bei der Geburt dabei sein."
    Wie der Ehemann sehr richtig bemerkt hatte, war Abbie Hunter erst vor zwei Stunden in der Klinik eingetroffen. Außer den verfrühten Wehen hatten noch weitere Komplikationen den behandelnden Arzt bewegen, unverzüglich einen Kaiserschnitt vorzunehmen. Deshalb war man so verzweifelt bemüht
    gewesen, sich mit dem Ehemann in Verbindung zu setzen. Gott sei Dank war er endlich aufgetaucht, denn der bloße Gedanke, er würde nicht bei ihr sein, hatte seine Frau in helle Aufregung versetzt.
    Offenbar hatte er keine Ahnung von deren kritischen
    Zustand, sonst wäre er kaum so hereingeschlendert. Und dabei war sie so wunderschön und warmherzig - und zutiefst besorgt, dass irgendetwas bei der Geburt des Babys, das sie sich so sehnlich wünschte, schief gehen könnte.
    "Soweit ich weiß, wollte Mrs. Hunter, dass Sie bei der Entbindung anwesend sind", erklärte Gaye kühl, als sie sein Zögern bemerkte.
    Er schluckte und wurde unter der Sonnenbräune eine Spur blasser. "Ach ja?"
    Er wollte Zeit gewinnen, davon war Gaye felsenfest
    überzeugt. Allerdings lag ihr das Wohl der Patientin momentan mehr am Herzen als seines - und Abbie Hunter wollte, dass er bei der Geburt ihres Kindes dabei war.
    "Kommen Sie mit", befahl sie kurz angebunden. "Ich besorge Ihnen einen Kittel und bringe Sie dann persönlich in den OP." Mit energischen Schritten eilte sie ihm voraus den Flur entlang. Die blaue Schwesternuniform trug wenig dazu bei, ihre geschmeidigen Bewegungen und die
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