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Kein Heldentod

Kein Heldentod

Titel: Kein Heldentod
Autoren: Frank Dellen
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"Guten Tag, ich bin Hauptfeldwebel Kroeger, sind sie Frau Freise?"
    "Ja …"
    "Die Großmutter des Stabsgefreiten Dirk Freise?"
    "Ja - ist was mit meinem Enkel?"
    "Darf ich hereinkommen?"
    "Aber ja, bitte!"
    Gisela Freise trat beiseite, um den Soldaten mit einer unsicheren Geste in den Flur zu lotsen. Wie immer, wenn ein Gast eintrat, entstand ein etwas peinlicher Moment, als der Besucher sich in dem engen Flur an der Dame des Hauses vorbei drängte. Weil Frau Freise, den guten Sitten entsprechend, nach dem Schließen der Türe wieder die Führung auf dem Weg ins Wohnzimmer übernehmen musste, stellte Hauptfeldwebel Kroeger sich mit dem Rücken an die unglücklich platzierte, viel zu breite Garderobe. Er stand halb in einer dichten Reihe Mäntel und Jacken, von denen zwei Drittel nur einmal im Jahr getragen wurden. Der Muff hatte sich mit dem Schweißhauch der drei oder vier täglich benutzten Kleidungsstücke vermischt. Frau Freise vermied sorgfältig, Kroeger anzusehen; sie ahnte, dass er keine guten Nachrichten brachte und wollte die schlechten nicht schon in seinen Augen ablesen.
    Gisela Freise schob sich an ihrem Gast vorbei und bemerkte die intensive Ausdünstung eines Kettenrauchers, der ein paar Tage nicht geduscht hatte - ein seltsamer Kontrast zur gepflegten Erscheinung des Hauptfeldwebels. Er war etwa fünfunddreißig, überragte Gisela um zwei Köpfe und brachte deutlich über zwei Zentner auf die Waage, von denen nur wenige Kilogramm in Richtung der Gürtelschnalle gerutscht waren. Gelegentlich ertappte sie sie sich bei dem Gedanken, dass die Kameraden und Vorgesetzten ihres Enkels, die er ihr auf Fotos gezeigt hatte, eigentlich ganz menschlich aussahen, gar nicht wie Soldaten - aber Kroeger erweckte den Eindruck, er wäre schon in der Uniform geboren worden; falls in Hollywood ein Mangel an stiernackigen, kurzhaarigen, grimmig fluchenden Uniformträgern ausbräche, man würde ihn sicher anrufen; zum perfekten Klischee fehlte nur ein erloschener Zigarrenstummel in Kroegers Mundwinkel.
    Sie lotste ihren Gast zu dem mit Breitcord bezogenem Sessel hinter dem rechteckigen Tisch, dessen Marmorplatte sich mit einer Kurbel in der Höhe regulieren ließ, wenn man mal beim fernsehen essen wollte.
    "Kann ich ihnen etwas zu Trinken anbieten?"
    "Ein Glas Wasser wäre mir recht … Darf ich rauchen?"
    Zu Giselas Erleichterung zog Kroeger keine Zigarren, nur eine Schachtel Zigaretten aus seiner Uniformjacke.
    "Bitte, wenn Sie möchten …" Der Nikotingestank würde sich für Tage an die Gardinen und Vorhänge klammern, aber ihr war jede Sekunde lieb, die das Unausweichliche hinauszögerte.
    "Ist Ihr Gatte zu Hause?"
    "Ja, im Garten …"
    "Würden Sie ihn bitte holen?"
    Karl-Heinz Freise war nicht begeistert, als seine Frau ihn von der Küchentür aus rief, er pflückte Johannisbeeren, um einen leckeren Likör aufzusetzen - das brauchte seine Zeit und er konnte sich keine Unterbrechung leisten, wenn er heute noch fertig werden wollte. Aber das ungehaltene "Was denn!", das er sich auf seiner Zunge zurechtgelegt hatte, schluckte er runter, als er bemerkte, wie aufgeregt seine Gattin war - und er hatte an ihr immer geschätzt, dass sie nicht zu jener hühnerhaften Hysterie neigte, die schon endloses Gekreische erzeugt, wenn mal ein Saucenfleck auf die Tischdecke kommt. Er schlüpfte aus den Holzschuhen in seine Hauspantoffeln und folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie ihm den Hauptfeldwebel vorstellte.
    "Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen …" sagte Kroeger, nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und beobachtete für einen Moment die ausgestoßenen Rauchschwaden, als ob er eine gedankliche Atempause vor dem geistigen Anlauf für seinen nächsten Satz einlegen würde.
    "Sie werden noch einen Brief vom Verteidigungsministerium bekommen, aber als der unmittelbare Vorgesetzte Ihres Enkels sehe ich es als meine moralische Pflicht an, auch, wenn das gegen die Vorschriften verstößt, ihnen persönlich mitzuteilen, dass der Stabsgefreite Dirk Freise am letzten Mittwoch, den 12. diesen Monats, in der Nähe von Camp Feyzabad gefallen ist."
    Die Freises saßen für einige Sekunden still da und versuchten, die Worte, die in ihre Ohren gedrungen waren, so zu interpretieren, dass sie einen weniger schrecklichen Sinn ergaben, aber es gelang ihnen nicht. Karl-Heinz Freise musste sich vergewissern:
    "Mit 'gefallen' meinen Sie, dass er …?"
    Kroeger wartete einen Augenblick, ob der ältere Herr den Mut finden
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