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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale
Autoren: D Thomas
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G olf von Alaska – hundert Seemeilen südöstlich der Küste. Die Silhouette des Mannes, der auf dem offenen Meer den Horizont zu erreichen versuchte, verschmolz mit dem Licht der frühmorgendlichen Sonne. Mit kräftigen Armbewegungen durchschnitt er das Blau – ewiges tiefes Blau, das dem Blick nicht erlaubte, seine dunkleren Schichten zu durchdringen. Weiter draußen, gegen das Gleißen der Sonne kaum wahrnehmbar, schien sich etwas von der See abzuheben und mit gravitätischer Langsamkeit auf ihn zuzubewegen.
    Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er die riesige birnenförmige Wolke aus Wasser und Luft zum Greifen nahe vor sich sah, prächtige zehn Meter hoch. In ihrem zerstäubenden Nebel brach sich das Licht.
    Dann spürte er, wie die bereits erwartete Woge von etwas, das sich nur schwer benennen ließ – eine eigenartige Energie, eine Kraft, eine unsichtbare Macht –, auf seinen Körper prallte. Es war, als würde er eine Grenze überschreiten. Hätte man von ihm verlangt, diesen Zustand näher zu beschreiben, er hätte kläglich versagt. Das Einzige, was er wusste, war, dass diese Kraft nicht von ihm ausging, sondern von dem monströs anmutenden Etwas, das dem Rumpf eines U-Bootes nicht unähnlich sah. Miteiner Eleganz und Leichtigkeit, die in keinem Verhältnis zu seinem gewaltigen Äußeren stand, glitt der Koloss an ihm vorüber, während sein Blick, wie zur Begrüßung eines alten Bekannten, auf ihm ruhte.
    Er berührte die schwartige Haut seines Freundes und verspürte einen feinen, äußerst angenehmen Impuls. Es war fast so, als wäre er an ein Ladegerät angeschlossen, als wollte sich etwas Größeres, Bedeutsameres auf ihn übertragen.
    Als würde der Strom des Alltags, der ihn sonst so beharrlich mit sich riss, plötzlich aufhören, als würde er in einen Zustand vollkommener Leere fallen wie in einen weichen, warmen Traum, nur dass dieser Traum sehr real und voller Leben war. Als würde der Wal ihm vermitteln: »Alles wird gut.« Auch wenn er ahnte, dass dem nicht so war.
    I n der Redaktionsetage des ›Washington Chronicle‹ ging es wie immer hoch her. Telefone schnarrten im Sekundentakt, Redakteure schwirrten herum wie Fliegen über dem Mittagstisch, überall türmten sich Berge von Papier, die Kaffeemaschine ächzte, und der für die Raucher vorgesehene Raum schien sich, wie auf einem Gemälde von William Turner, in fahlen Nebelschwaden aufzulösen. Leah Cullin versuchte sich von der Hektik nicht anstecken zu lassen, während ihr persönlicher Sklave – so titulierte sich Leahs Assistent Nick Pherson selbst – die Unterlagen über das neue NASA-Projekt mit ihr durchging.
    »Nick, hättest du die Güte, endlich weiterzulesen ... Ich häng an deinen Lippen.«
    »Nun, die sagen, die Satelliten sollen lediglich thermische Aktivitäten erforschen, Geoffrey meint auch, es handelt sich nur um ...«
    Weiter kam Nick nicht, denn Leah unterbrach ihn barsch:»Egal, was Geoffrey sagt – wir recherchieren, wir finden die Wahrheit raus, wir informieren unsere Leser ...« Und dann, betont lauter, denn Geoffrey Wilbert, Chefredakteur, Vorgesetzter und Leahs Lebensgefährte in einer Person, kam gerade zur Tür hereingeschlendert: »... oder auch nicht, kommt drauf an, welchem unserer Inserenten wir damit wieder auf den Schlips treten. Sonst stellen wir es lieber anderen, die sich nicht so leicht foppen lassen wie unser Dream-Team hier, anheim, unsere Leser zu informieren.«
    Geoffrey, dem keine Silbe entgangen war, pflanzte sich lässig vor Madeleines Schreibtisch auf, ohne Leah auch nur eines Blickes zu würdigen, was sie noch mehr in Rage versetzte. Zwei Monate war sie nun dahinterher gewesen, einen Artikel über dieses neue Satellitenprojekt der NASA zur Erforschung thermischer Aktivitäten in der Erdkruste zu schreiben. Zwei Monate hatte sie sich von einer Instanz zur anderen gekämpft, um am Ende doch nur festzustellen, dass sie wieder am Anfang angelangt war. Leah war schon nahe daran gewesen, ihre Recherche abzubrechen, als es das Schicksal wollte, dass sie auf Bob Myers stieß, einen alten Kumpel aus der College-Zeit, der inzwischen für die NASA arbeitete. Er war zwar nicht direkt für das Projekt zuständig, hegte aber genug Sympathien für Leah, um seine Beziehungen spielen zu lassen. Und die waren offensichtlich gut. Denn einen Tag später wurde Leah bereits von dem Projektleiter angerufen, der ihr mitteilte, dass alle Türen und Tore für sie offen stünden. Erstaunlich, wie schnell ein
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