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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale
Autoren: D Thomas
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der Wal auf mindestens zehn Meter genau geortet werden. Nach getaner Arbeit ließ sich David noch eine Weile neben dem Auge des Wals treiben, die beiden fixierten einander, das übliche Abschiedsritual, dann begann Ketan sich von ihm zu lösen. Er glitt dabei so knapp an David vorbei, dass der mit der Hand über seine Haut fahren  konnte, während sein Freund langsam in der Tiefe verschwand.
    K aum fünfzig Meilen weiter südöstlich wälzten sich die tausend Bruttoregistertonnen der »Hikari« mit bleierner Schwere durch die Wellen, auf der, wie es schien, vergeblichen Suche nach Beute. Einige der Männer lagen noch in ihren Kojen und träumten von ›Tokyo Decadence‹, einem etwas ungewöhnlichen Film für die Besatzung eines panamaischen Walfangtrawlers, bei dem so ziemlich das Einzige an Bord, das an den mittelamerikanischen Staat erinnerte, offensichtlich die Flagge war, und selbst die stammte aus einem der Läden auf Hokkaido. Genauso wie der grüne Tee, den die weniger schlaftrunkenen Besatzungsmitglieder unter Deck im dämmrigen Licht der vom Zigarettenrauch verschmierten Glühbirnen zu sich nahmen.
    Auf ihren Gesichtern lag die Unzufriedenheit darüber, dass ihr Fang bisher nicht gerade ergiebig gewesen war. Und das war alles andere als gut. Sie waren hier draußen, um das Leben aus den dicken Fettschichten ihrer Opfer zu schälen. Sie waren hier draußen, um das in ihrer Heimat so begehrte Fleisch dem Ozean zu entreißen. Sie waren hier draußen, um zu töten, keinesfalls, um Trübsal zu blasen. Sie waren die letzten Jäger einer aussterbenden Art. Nach ihnen würde es keine mehr geben, denn nach ihnen würde nichts mehr existieren, wonach es zu jagen lohnte. Jedem von ihnen war dies bewusst, und diese Gewissheit war die Ursache einer Schwermut, die in den Stunden des Nichtstuns wie ein Fluch auf ihnen lastete.
    Die meisten hatten lediglich für eine Saison Arbeit auf dem Fangschiff gefunden, das in den letzten zehn Jahren nur noch illegal die Ozeane befahren hatte. Ob illegal oder nicht, interessierte keinen von ihnen, denn der Job war verdammt lukrativ. Mit ein bisschen Glück konnten sie hier in wenigen Monaten mehr verdienen als in zig Jahren zu Hause. Dafür lohnte es sich, ein gewisses Risiko einzugehen. Allen war bewusst, dass sie keine Wale schießen durften, schon gar nicht in diesem Gebiet,und wenn überhaupt irgendwo, dann nur die kleineren Walarten. Doch andererseits, wer kontrollierte sie schon? Sobald das Walfleisch in kleine Portionen aufgeteilt war, erübrigte sich die Frage nach der Herkunft. Wer sollte sie also davon abhalten, alles zu töten, was ihnen vor die Kanone kam?!
    S teve half David an Bord der »SeaSpirit«. »Und, wie war’s?«
    David, hungrig, aber gut gelaunt, begann seinen Tauchanzug auszuziehen. Es kam ihm so vor, als wäre sein ganzer Körper auseinandergenommen und neu zusammengesetzt worden, sodass er, nach einer kurzen Phase der Anpassung, viel besser funktionieren würde.
    »Die neue Befestigung ist klasse.«
    Steve reichte ihm das Handtuch. Für einen Fünfzigjährigen hatte David immer noch eine erstaunliche Figur, einen durchtrainierten Körper, die Muskeln nicht übermäßig, aber gut ausgebildet, ein Bauchansatz war kaum wahrnehmbar. Nur die graumelierten Haare deuteten darauf hin, dass der Mann dabei war, seinen Zenit zu überschreiten. Dafür blitzten seine Augen umso unternehmungslustiger, und die vielen Lachfältchen verrieten, dass er Humor hatte.
    »Was ist los mit dir?«, fragte Steve verwundert.
    Davids Pupillen schienen überdimensional geweitet, und er erweckte den Eindruck, als hätte er Schwierigkeiten, seinen Gang zu koordinieren.
    »Wieso? Alles bestens.«
    Es war nicht immer leicht, nach einer Begegnung wie dieser wieder auf Normalbetrieb umzuschalten. David fühlte sich, als hätte er an einem Joint gezogen – sehr gelassen, fast schwerelos, abgesehen davon, dass irgendetwas in ihm noch zu vibrieren schien. Das alles stand für David zweifelsfrei in Zusammenhangmit dem Wal. Eine andere Erklärung konnte er jedenfalls nicht finden.
    Masao kam hinzu. »Ketan war ’ne Ewigkeit bei dir.«
    »Auge in Auge.«
    Masao deutete auf Steve. »Er wird zwar sagen, es ist wieder nur Zufall, aber Ketan weiß genau, was da abgeht.«
    »Ich will sie ja auch retten, muss ich sie deshalb menschlich machen?«, konterte Steve. Er war es leid, sich permanent rechtfertigen zu müssen, nur weil er nicht jedes Mal in grenzenlose Euphorie verfiel.
    »Sein Gehirn ist
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