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05 - Der Conquistador

05 - Der Conquistador

Titel: 05 - Der Conquistador
Autoren: Manfred Weinland
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1.
    Mein Name ist Francisco Hernández de Córdoba. Wir schreiben den 7. Febrero 1517, und schon morgen lichten wir Anker, um in unbekannte Gefilde vorzustoßen. Dorthin, wo noch kein Mensch vor uns war. Möge Gott der Allmächtige uns gnädig sein und seine Hand schützend über uns halten.
    Oder sollte ich lieber jenes Wesen um Beistand anrufen, das mir heute am frühen Abend erschien und mich vermutlich bis in den Schlaf verfolgen wird? Zu verlockend ist, was es mir in Aussicht stellte – obgleich ich, während ich diese Zeilen meinem Schreiber diktiere, bereits selbst im Zweifel bin, ob ich nicht einem Traumbild erlag.
    Auch meine Kräfte sind endlich. Ich fand wenig Ruhe und erst recht keine Erholung in den letzten Wochen. Die Vorbereitungen für die Expedition haben mich in einen Zustand der Erschöpfung getrieben, der durchaus Trugbilder zu gebären vermag. Zudem war ich allein, als ER mich aufsuchte, ich habe keinen Zeugen außer mir selbst.
    Keine greifbare Gestalt war es, die zu mir trat, aber eine von solch strahlender Ausdruckskraft, dass sie mich selbst in der Erinnerung noch zu bannen vermag. Ein weißer Ritter, reiner und edler kaum vorstellbar. Er wusste von meinem Vorhaben und prophezeite mir einen wahrlich großen Lohn dort am Ziel der entbehrungsreichen Reise: ewiges Leben! Sofern ich mich bereit erkläre, mich ganz in den Dienst des wundersamen Wesens zu stellen. Doch so engelsgleich es auch erscheint, bin ich doch kritisch genug, um Zweifel zu verspüren.
    Kann denn all dies geschehen sein? Ist mir wahrhaftig ein Bote des Himmels erschienen, um mir eine solche Belohnung anzubieten?
    Ich habe dem Schreiber den Schwur abgenommen, absolutes Stillschweigen zu bewahren. Handelt er dem zuwider, wird er sterben. Ist er aber loyal, darf er am Ende der Expedition reichen Lohn erwarten.
    Jetzt gerade errötet er, während er dies niederschreibt. Für heute will ich es genug sein lassen. Diese letzte Nacht vor dem Aufbruch muss ich Schlaf finden. Denn morgen ist der erste Tag auf dem Weg in mein neues Leben, das – mit Gottes Segen – nicht mehr zwangsläufig in einem kühlen Grab enden muss.
    (aus den Aufzeichnungen des Francisco Hernández de Córdoba)
    Als Tom Ericson an diesem Morgen erwachte, hatte er gefühlte zehn Sekunden geschlafen.
    Die Armbanduhr, die er auf dem Nachttisch aus dunklem Eichenholz abgelegt hatte, belehrte ihn eines Besseren.
    »Vier Stunden«, knurrte er missmutig und rieb sich die überanstrengten Augen. »Auch zu wenig. Viel zu wenig …«
    Er war in Gedanken noch ganz und gar in seine Arbeit versunken, die ihn bis weit nach Mitternacht in ihren Bann geschlagen hatte: die Übersetzung eines in altkastilianischer Sprache abgefassten Textes, der sich offenbar auf einen der großen Entdecker, keinen geringeren als Francisco Hernández de Córdoba, zurückführen ließ.
    Mit anderen Worten: Tom war auf ein der Öffentlichkeit bislang vorenthaltenes Dokument gestoßen, in dem Hernández von seiner Entdeckungsfahrt berichtete, in deren Verlauf er Anno Domini 1517 zur Halbinsel Yucatán gelangt war.
    Maya-Gebiet.
    Die Kladde, die ein bislang geheimes Expeditionstagebuch des Entdeckers enthielt, war zusammen mit einem anderen, nicht minder interessanten Gegenstand unter mörderischen Umständen in Toms Besitz gelangt – und seitdem ging es ungebremst mörderisch weiter. Zuletzt im Ultimo Refugio, einer schäbigen Madrider Absteige, wo Tom untergeschlüpft war.
    Vorübergehend zumindest.
    Denn schneller als erwartet hatten seine Verfolger – eine Bande von auffallend gut gekleideten Südamerikanern indianischer Abstammung – ihn auch dort aufgespürt, das Hotel in Schutt und Asche gelegt und nebenbei auch noch den Besitzer umgebracht.
    Seitdem hatte Tom dessen ausnehmend hübsche Tochter und den autistischen Sohn am Hals.
    Immerhin verdanke ich Maria Luisa, dass ich die Nacht nicht in irgendeinem Hinterhof überstehen musste, dachte Tom. Hätte sie bei ihrer Großmutter kein gutes Wort für mich eingelegt …
    Er seufzte und widmete sich in Gedanken wieder dem bereits übersetzten Teil des Hernández-Dokuments.
    Offenbar war dem Conquistador, der gemeinhin in einem Atemzug mit Männern wie Francisco Pizarro oder Hernán Cortés genannt wurde, am Vorabend seines Aufbruchs ein ominöser »Weißer Ritter« erschienen, der ihn überredet hatte, ihm bei seiner Ankunft in der Neuen Welt einen ganz speziellen Dienst zu erweisen. Als Lohn dafür hatte er ihm Unsterblichkeit in Aussicht
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