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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale
Autoren: D Thomas
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nehmen, denn David unternahm nicht mal den Versuch, ihnen zu erklären, was zwischen ihm und dem Wal vor sich ging. Wie hätte er auch beschreiben sollen, dass es da so etwas wie eine Verständigung gab, einen Austausch von Energien, von etwas, das sich jenseits des Verstandes abspielte. Es war ihm klar, dass dies eines der Dinge war, die man nicht einfach so erzählen konnte, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Man musste es selbst erleben. Doch ohne dass sie sich untereinander abgesprochen hatten, unternahm kein anderer den Versuch, es David gleichzutun. Allen war klar, dass Ketan und David etwas Besonderes verband. Was immer sie da draußen miteinander zu tun hatten: Es war ihre ganz persönliche Angelegenheit.
    Als dann der Technikfreak der »SeaSpirit«, Govind, endlich so weit war, den neuentwickelten Prototyp eines Minisenders zum Einsatz zu bringen, wussten alle, dass es für den Probelauf keinen geeigneteren Wal gab als Ketan. Der Sender, der mit einem Saugnapf auf der Haut des Wals befestigt wurde, sollte zum einen Fakten über Ketans Aufenthaltsorte sammeln, zum anderen Messdaten über Wassertiefe, Wasserdruck und verschiedene biologische Werte übermitteln. Damals verfügte die »SeaSpirit« noch nicht über ein Hightech-Center wie heute, sondernlediglich über einfache Ortungssysteme. Dennoch hätten sie Ketan mit dem Sender wochenlang auf der Spur bleiben können – wäre das blöde Teil nicht bereits einen halben Tag später wieder von der Haut des Wals abgefallen.
    Seitdem war ihnen Ketan immer wieder begegnet. Ihn zu erkennen war nicht schwer, denn die Zeichnung seiner Haut war extrem auffällig. Dort, wo für gewöhnlich nur weiße Schecken die Haut eines Wals überzogen, zeigte sich bei Ketan ein über einen Meter großes, weißes Kreuz. Sie hatten eine ähnliche Zeichnung noch bei keinem anderen Blauwal gesehen. Dass er allerdings immer wieder nahe der »SeaSpirit« auftauchte, gab weiteren Anlass zu Diskussionen: War es so, dass der Riese das Schiff suchte, oder war es einfach nur Zufall?
    Steve tendierte zur zweiten Erklärung. Wale mit menschlichen Eigenschaften zu belegen erschien ihm suspekt. David hatte für Steves Ansichten nur ein Lächeln übrig. Er und Steve hatten ihre Diskussionen über die Intelligenz und Empfindsamkeit der Meeressäuger schon lange ad acta gelegt. Wozu Worte vergeuden? Beide kämpften für die gleiche Sache, nur das zählte. Es gab nun mal gewisse Dinge, die nicht wissenschaftlich belegt waren – noch nicht. Und David hasste es, darüber rein theoretisch zu spekulieren. Entweder man machte seine Erfahrungen, und dann war es keine Frage des Glaubens, sondern alles baute auf der Grundlage eigener Erkenntnis auf. Oder man ließ es eben.
    Jedenfalls war Ketan so etwas wie das Ehrenmitglied der SeaSpirit geworden, er gehörte zum Team.
    »Unser bester PR-Mann«, scherzte Masao, »wir müssen ihm nur noch beibringen, den Dia-Projektor zu betätigen, und schon bleiben alle garantiert wach.« Der Seitenhieb galt Steve, bei dessen Vorträgen trotz seines angeblich sicheren Instinkts für »das, was die Leute hören wollen« so mancher Zuhörer einnickte.
    N achdem David seinen Zustand wieder so weit stabilisiert hatte, dass er sich seinem Vorhaben widmen konnte, beendete er sein halbstündiges Begrüßungsritual, richtete die Armbrust auf den Blauwal und feuerte sie ab.
    Ketan reagierte nicht. Es schien ihm bewusst zu sein, dass dieser Akt für ihn keinerlei Gefahr darstellte. Vermutlich spürte er nicht einmal, wie der Pfeil mit dem darin befindlichen neuen Satellitensender seine Schwarte durchstieß, um sich in der darunterliegenden Fettschicht, dem Blubber, zu verhaken. Govind hatte es so ausgeheckt, dass der angebrachte Stopper ein tieferes Eindringen verhinderte. Dank einiger vorangegangener Versuche mit Schweinehälften, auf die sie ihre Armbrust abgefeuert hatten, hatte McGregor das Verfahren ausreichend erproben und als unbedenklich einstufen können. Noch dazu war die Blubberschicht des Wals schmerzunempfindlich und somit das beste Domizil für den nicht mal fünfzehn Gramm schweren Minisender, der auf diese Weise keine Gefahr lief, wieder im Meer verlorenzugehen – so wie bei der Saugnapfvariante. Der Sender – mittlerweile der vierte, den Ketan bekam – war kleiner als ein USB-Stick, aber  dennoch in der Lage, präzise Daten über Standort, Tauchtiefe, Schwimmgeschwindigkeit, ja sogar Temperatur und Lichteinfall zu liefern. Mit seinen Angaben konnte
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