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Kuss der Ewigkeit

Kuss der Ewigkeit

Titel: Kuss der Ewigkeit
Autoren: K Price
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KAPITEL 1
    S eit zehn Minuten war ich nicht mehr nur übel dran, sondern echt angeschissen.
    Dabei hatte ich vor einer Stunde noch gedacht, eine Stadt mit dem Namen Haven wäre ein gutes Omen. Schließlich bedeutete das doch so viel wie » sicherer Hafen« oder » Zufluchtsort«. Nun allerdings fragte ich mich, für wen sie ein Zufluchtsort sein sollte– für Eisbären und Pinguine? Das nächste Mal, wenn ich mich an Bord eines Zuges schlich, würde ich mich vorher vergewissern, ob er nach Süden oder in den Norden fuhr. Die tief verschneiten Straßen waren der üble Teil. » Angeschissen« begann vor zwei Blocks, als ich die Witterung von etwas aufnahm, das nie dazu bestimmt war, in der menschlichen Welt zu existieren. Nun ja, abgesehen von mir natürlich.
    Eine Frau lief mir vor die Füße, die Aufmerksamkeit auf ein Taxi gerichtet, das am Bordstein anhielt. Ich blieb stehen, der Mann hinter mir nicht. Mit einem mürrischen Laut drängte er sich an mir vorbei, dabei knallte mir seine Aktentasche gegen den Oberschenkel. Wütend starrte ich ihm hinterher, doch er sah sich nicht um, ganz zu schweigen davon, dass er sich entschuldigte.
    Ich hasste Menschenmengen. Jeder der Menschen, die die Straße entlangtrotteten, könnte hinter mir her sein. Natürlich bot mir genau diese Anonymität auch einen gewissen Schutz. Ich erschauderte in meinem übergroßen Mantel und widerstand dem Drang, einen Blick über die Schulter zu werfen, während ich meinen Schritt wieder dem Verkehrsfluss der Fußgänger anpasste. Am wichtigsten war es, unauffällig zu bleiben.
    Eine Fußgängerampel leuchtete rot auf, und die Menge kam an der Ecke Fifth und Harden zum Stillstand. Autos hupten, Fahrer schimpften, doch obwohl sie grünes Licht hatten, kamen sie nur stockend voran. Ein paar der ungeduldigeren Fußgänger schlängelten sich zwischen den Fahrzeugen hindurch, was dazu führte, dass ein Taxifahrer ihnen den Mittelfinger zeigte, als sich ein anderer Wagen in die Lücke zwängte, die sich vor ihm auftat. Kurz überlegte ich, ebenfalls hinüberzugehen, entschied dann aber, dass es sicherer war, unter den Schlipsträgern an der Ecke zu bleiben, um nicht aufzufallen. Ich verlagerte mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und hielt den Atem an, als ein Bus uns in eine schmutzige Abgaswolke hüllte.
    Eine Hand legte sich mir auf die Schulter.
    » Kita Nekai«, ertönte eine tiefe Stimme. » Komm mit mir.«
    Ich erstarrte, unfähig, mich umzudrehen, aus Angst, dass jede Bewegung mich dazu verleiten könnte davonzurennen. Atmen. Ich musste atmen, eine beinahe unmögliche Aufgabe bei dem Kloß in meiner Kehle. Mit meinem ersten keuchenden Atemzug nahm ich die Witterung des Jägers auf, und ein Schauer lief mir über den Rücken, eine Reaktion, die mehr Instinkt als Angst war. Verdammt. Wolf. Das Blut, das mir in den Ohren rauschte, übertönte den Straßenlärm, deshalb schien es mir, als bewege sich die Menge lautlos und wie in Zeitlupe.
    Der Griff des Jägers verstärkte sich, und ich blickte auf die Finger, die sich mir in die Schulter bohrten. Die manikürten Nägel und die weiße Hemdmanschette, die unter seinem braunen Mantelärmel hervorlugte, wiesen ihn als Schlipsträger aus. Er würde sehr gut mit der Menge verschmelzen.
    » Lassen Sie mich los!« Ich machte mir nicht die Mühe zu flüstern, und die Frau neben mir warf uns einen Blick zu.
    Eine halbe Drehung um meine eigene Achse brachte mich auf Augenhöhe mit der roten Seidenkrawatte des Jägers. Ich packte ihn am Handgelenk, eine schwache Illusion, dass ich diejenige wäre, die ihn festhielt, und räusperte mich.
    » Dieb! Haltet den Dieb! Er hat meine Geldbörse gestohlen!«
    Leute drehten sich um, und ihre Blicke erfassten den tadellosen Nadelstreifenanzug des Jägers und meinen Staubmantel von der Heilsarmee mit seinen Ellbogenflicken und dem abgewetzten Saum. Die Schlipsträger, die uns am nächsten standen, rückten ein wenig von uns ab und warfen uns aus den Augenwinkeln misstrauische Blicke zu. Aber sie beobachteten uns. Sie alle beobachteten uns, und bei so vielen menschlichen Zeugen konnte der Jäger mich nicht einfach von der Straße zerren. Diese Erkenntnis sah ich in seinen bernsteinfarbenen Augen aufblitzen.
    Die Ampel schaltete um, und durch die vorwärtswogende Menge schloss sich die Lücke, die sich aufgetan hatte, als ich meine kleine Szene machte. Der Jäger hatte immer noch die Hand auf meiner Schulter, doch nun war er gezwungen, mich loszulassen, und ich
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