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Nonnenfürzle: Kriminalroman (German Edition)

Nonnenfürzle: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nonnenfürzle: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michael Boenke
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1
Kopflos
     
    O Haupt
voll Blut und Wunden
     
    O edles
Angesichte,
    davor das
Reich der Welt
    erschrickt
und wird zunichte,
    wie bist
du so entstellt,
    wie bist
du so erbleichet!
    Wer hat
dein Augenlicht,
    dem sonst
kein Licht mehr gleichet,
    so schmachvoll
zugericht’t?
    Paul Gerhardt
(1607 – 1676) und Johann Crüger
    (1598 – 1662)
     
    Schwester Immaculata-Flora tat das,
was sie jeden Tag nach dem gemeinschaftlichen Abendessen in ihrer raren Freizeit
tat. Zur Ehre des Herrn und seiner wunderbaren Schöpfung und zum Lobe einer guten
Verdauung nahm sie ihre Luxus-Nordic-Walking-Stäbe aus hochfestem Aluminium und
entfloh strammen Schrittes dem mächtigen Kloster. Wie immer lief sie zuerst in nordwestliche
Richtung entlang am verschneiten Wald, um dann im leichten Knick bergab nach Wagenhausen
zur Sießener Säge zu gelangen. Der Weiher lag zugefroren vor ihr, und da es schon
dunkel war, befand sich niemand auf dem tragfähigen Eis, das knackend frostige Selbstgespräche
führte. Immaculata-Flora nahm mit dampfendem Atem den Pfad zum Strandbad und drang
nun, den temperaturbedingt verwaisten Badestrand hinter sich lassend, in den düsteren
Wald ein. Den schmalen, ansteigenden Weg leuchtete ihre Stirnlampe, die sie über
ihrem Schleier mit einem Elastikband befestigt hatte, leidlich aus. Immer wieder
rutschten die Wanderschuhe auf der eisigen Strecke unter ihrem zarten Gewicht weg.
Schwester Immaculata-Flora war Ordensfrau im Kloster der Franziskanerinnen und mit
ihren 25 Jahren in bester körperlicher Verfassung. Trotzdem verschnaufte sie am
höchsten Punkt des Anstieges längs des Weihers. Sie lehnte sich kurz mit beiden
Händen an das Holzgeländer, die schwarzen, weiten Ärmel ihrer Tracht wurden von
den Schlaufen der Walking-Stecken nach oben geschoben. Mit der Stirnlampe leuchtete
sie auf die kleinen Forellenteiche hinunter, die zur Zucht selbiger entlang des
Weihers von geschäftstüchtigen Land- und Wasserwirten angelegt waren. Im Sommer,
als es zu ihrer Laufzeit noch hell war, vertrieb sie mit einem energischen Schlag
der Aluminiumstecken gegeneinander die Reiher, die zum Leidwesen der Forellenzüchter
hier reiche Beute machten. Sie schob die Ärmel ihrer Tracht über die fröstelnden
Arme nach unten und schon bald befand sie sich wieder in einem meditativen, gottgefälligen
Walkingrhythmus. Der Lichtkegel der Stirnlampe warf bizarre Schatten auf Weg, blattlose
Bäume und Sträucher. Fröhlich, die kurze Abwärtsstrecke genießend, sang weißer Atem
mit hoher Vibrato-Kopfstimme aus dem Mund der gottesfürchtigen Jung-Franziskanerin:
     
    »Herr, du
weißt, wie arm wir wandern
    durch die
Gassen dieser Welt,
    wenn der
Glanz von einer andern
    nicht auf
unsre Schritte fällt.
    Leuchte
du mit deinem Schein
    in die dunkle
Welt hinein.«
     
    Ein Wald bewohnendes Tier, den jungfräulichen
Gesang missverstehend, brach jäh im düsteren Forst durch das Gehölz. Mit forciertem
Crescendo sang die fromme Sportlerin zur eigenen Beruhigung die zweite Strophe des
erbaulichen Liedes mit nun leicht brechendem Vibrato in der Stimme und beschleunigte
die langberockten Schritte:
     
    »Herr, du
weißt, wie leicht wir sinken
    auf den
Wegstein müd und schwach,
    wenn nicht
deine Sterne blinken
    und uns
sagen: Du bist wach!
    Leuchte
drum mit deinem Schein
    in die dunkle
Welt hinein.«
     
    Kurz bevor sie den tiefsten Punkt
hinter der provisorischen Schranke erreicht hatte, hörte sie das Schlagen zweier
Autotüren, dann das nervöse, eigenartige Klacken eines Anlassers und schließlich,
als der marode Starter doch noch seinen Dienst verrichtete, den jaulenden Versuch,
ein Auto auf dem vereisten und verschneiten Waldweg schleunigst wegzufahren. Die
hinterste Freud’sche Schublade ihres ansonsten frommen Unterbewusstseins meldete
ihr dieses Startgeräusch als bekannt.
    Immaculata-Flora
lächelte verschämt, hier hatte sie schon zweimal im letzten Sommer, als sie noch
Novizin war, Liebespärchen im Auto überrascht. Der heiligen Gottesmutter Maria sei
Dank hatte sie heute laut gesungen, so hatten die Unkeuschen Zeit, sich unerkannt
aus dem Staub zu machen. Es war ihr fürchterlich peinlich gewesen, als sie an einem
auffallend kühlen Sommerabend zu dem kleinen Auto kam, aus dem sie das verzweifelte
Stöhnen eines Menschen hörte. Die Scheiben des Wagens waren beschlagen und sie riss
in Sorgeum den verletzten, leidenden Menschen, den sie im Auto wähnte, die Tür auf.
Gleich einer Samariter in hätte sie dem Notleidenden Schutz
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