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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung
Autoren: Erik Kellen
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PROLOG
    Irland 52 v. Chr.
     
    Mein Bruder wurde im Meer geboren. Unter den Wellen!
    Ich bin seine Schwester und liebte ihn von dem Moment an, als ich ihn zum ersten Mal halten durfte. Sein Blick gleicht jener Linie am Horizont, wo Himmel und Meer aufeinander treffen. Er weiß es noch immer nicht. Ich aber wusste, dass ich für ihn sterben wollte, jederzeit und überall.
    Und das tue ich gerade - ich sterbe! Zwei Pfeile stecken in meiner linken Seite, einer davon dreht sich noch immer gnadenlos in meine Lunge, voller Gift, und deshalb spucke ich Blut.
    Über mir kniet mein Bruder. Sein Haar ist so schwarz wie das eines fürchterlichen Sturms. Dazwischen liegen seine blauen Augen wie zwei einsame Inseln. Drei Streifen, ebenfalls blau, bilden ein lautloses Gitter über seinen Lippen. Färberwaid. Wenn er tötet, dann still! Eigentlich ist er ein verlorener Poet. Ein Träumer, der nächtelang in den Bäumen hocken kann, um die Sterne zu betrachten. Er ist zerrissen. Manchmal glaube ich, dass er etwas sucht, das niemals gefunden werden kann.
    Mein Leben verrinnt zwischen seinen Händen. Ein Schildwall ist um uns herum. Schutz und Ruhe nur für einen Moment des Abschieds. Ich weiß, dass er danach aufstehen wird. Er wird genau jenen Sturm in sich tragen, der ihn einst gebar. Zorn wird seinen Weg säumen. Nichts wird ihn mehr aufhalten können. Er wird den Poeten, wie unser Vater einer gewesen war, einsperren und das werden, was unsere Mutter immer war. Ein Krieger.
    Ich beneide die Frau, die irgendwann sein Herz bekommt, denn es wird ein ewiges Herz sein.
    Blut füllt meine Kehle. Ich spüre seine Lippen auf meinen. Etwas wird von mir fortgerissen, und ich kann es nicht festhalten.
    Ich bin eine Fian. Mein Name ist Ril! Wir kämpfen und sterben, weil wir eine Seele beschützen. Ich aber sterbe, weil ich meinen Bruder mehr liebe als dieses Land. Ich höre den Klang seines Schreis. Sei nicht so böse mit Dir selbst, Bruderherz. Ich werde ganz still. Mein Brustkorb wird ganz müde. Etwas fehlt in mir, wo ist es hin?
    Ich sehe die Wolken über mir … Ich sehe meinen Bruder. Er steht auf. Ich fühle seine Augen. Der Sturm kommt. Er schließt die Hand um den Griff seines Schwertes. Finger um Finger. Für keinen Schwur der Welt möchte ich jetzt auf der anderen Seite stehen. Mein Name ist Ril! Lauft schnell heim, denn mein Bruder kommt! Er wird keine Gnade mehr kennen.
    Zum allerletzten Mal lächle ich, bevor der Wind mich holt.
     

Buch eins
     
    In der Angst verborgen liegt das Leben.
    Im Leben verborgen liegt der Hass.

Der Sarkophag
    Dichter lotrechter Regen stürzte aus einem schwarzen Himmel, als wollte er damit den rostig roten Trawler hinab in das Nordmeer drücken. Abertausende silbrige Fäden glitzerten im Licht der beiden großen Heckscheinwerfer, deren Strahlen nach nur wenigen Metern von der Dunkelheit verschluckt wurden. Als läge das Schiff in einem weit aufgerissenen Maul, von dem schimmernder Geifer tropfte, so erschien es den Männern in jener unsäglichen Nacht.
    Eine Dünung hob und senkte den Rumpf, wie von einem tiefen Atem getragen. Matrosen in dicken gelben Öljacken, glänzend vor Nässe, liefen herum und schrien sich gegenseitig an. Dampfwolken quollen aus den bärtigen Mündern. Eine Winde sang quietschend. Poltern und Dröhnen hallten in die Nacht. Die Männer ließen das Netz zu Wasser. Das Schleppnetz zog eine Spur der Verwüstung über den Meeresboden. Vor der metallenen Zugstange und den hungrigen Maschen lag das Leben, welches sich mit der Tiefe, dem Druck des Wassers und seiner Kälte arrangiert hatte. Dahinter war nichts mehr, außer einer weggeschabten Welt. Tot und verstümmelt. Verschwunden im Schlund des Netzes.
    Der Kapitän, Sergei Omanov, stand auf der Brücke des Trawlers, dessen Name schon so oft übermalt worden war, dass er manchmal Schwierigkeiten hatte, sich den aktuellen zu merken – Miral . Der dunkle Rollkragenpullover klebte an dem bulligen Kerl. Eine platte und schiefe Nase hockte in einem vom Leben gehärteten Gesicht.
    Die GPS-Koordinaten, auf denen die Miral ihre suchenden Kreise ziehen sollte, bekam er immer direkt übermittelt. Nicht er als Kapitän entschied, wo und wann das Netz hinuntergelassen wurde, sondern jemand, der ihn, das Schiff und seine Besatzung dafür bezahlte. Schon oft hatte er das unbestimmte Gefühl, dass der Fisch, der dabei im Bauch des Schiffes verschwand, eine Nebensächlichkeit war. Die Mannschaft, zusammengesetzt aus Russen, Finnen und
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