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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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ein paar Augenblicke umklammerten ihre Finger weiter die seinen.
    »Noch sind wir nicht fertig«, sagte sie. »Wir müssen noch jemanden holen.«
    Pen lag genauso da, wie Beth sie zurückgelassen hatte, und starrte an die Decke der pyramidenartigen Kammer. Nicht die kleinste Regung verriet, ob sie noch am Leben war. Erst als sie Beth kommen hörte, blinzelte sie, und ein Lächeln zuckte über ihr Gesicht. »Ich hab’s geschafft, B«, flüsterte sie.
    »Ja, du hast es geschafft, Pen«, bestätigte Beth ohne die leiseste Ahnung, wovon ihre Freundin überhaupt sprach.
    »Ich hab’s geschafft – ich hab das Ding besiegt. Es hat mich festgehalten, aber ich hab’s zurückfestgehalten.«
    »Mhm«, machte Beth und kniete sich neben sie.
    »Ich hatte Angst, aber ich hab nicht losgelassen. Ich hab’s besiegt. Weil ich’s gewollt hab.« Ein glasiger Schimmer lag in Pens braunen Augen. Sie faselte wie im Fieberrausch. »Jetzt hab ich keine Angst mehr«, flüsterte sie. »Weil ich’s gewollt hab.«
    Beth schob ihre Hände unter Pens Schultern und machte sich bereit, ihre Freundin anzuheben. Sie hatte befürchtet, dass Pen vor Schmerz schreien würde, doch sie wimmerte nur kurz auf, dann war sie still.
    »Also los«, murmelte Beth. »Wir müssen dich wieder auf die Beine bringen. Es gibt da so ’ne Frau … oder ’nen Mann oder ’n … hab keinen blassen Dunst, was das für ’n Wesen ist. Es heißt jedenfalls Gossenglas – wenn irgendwer weiß, wie wir dich wieder hinkriegen, dann dieses Ding.«
    »Nein!« Pens Schrei gellte entsetzlich laut durch die Dunkelheit. Ihr Kopf fuhr herum, sie schien geradezu aufgebracht.
    Beth schluckte. Sie zitterte ein wenig vor der Grausamkeit im Blick ihrer Freundin.
    »Nicht tiefer hinab ins Kaninchenloch, B«, sagte Pen. »Nicht mehr. Wenn du mich irgendwo hinbringen willst, dann bring mich nach Hause.« Eine Sekunde lang starrte sie sie an, und in ihren Zügen mischten sich Wut und Anklage und Erleichterung. Dann, zu Beths Schock und Erlösung, schlang Pen ihr die Arme um den Hals. »Gott, ich hab dich vermisst, B. Ich könnte dich niemals im Stich lassen.«
    Beth nickte. Es gab nichts mehr zu sagen.



Kapitel 53
    Als Haupteindruck von dem Krankenhaus (es war erst das zweite Mal, dass sie eins betrat) notierte Beth sich im Stillen, dass es quietschig war. Auf den Stationen schwirrte die Luft geradezu vor schrillen Geräuschen: Gummiräder schabten übers Linoleum; Kinder kreischten nach ihren Eltern; überall piepsten irgendwelche Apparate und verkündeten die unterschiedlichen Stadien sinkender Vitalfunktionen. Es war ein bisschen so, wie bei Sonnenaufgang den Vögeln zuzuhören, bloß dass durch die elektronische Klangschärfe alles ziemlich bedrohlich wirkte.
    Sie marschierte eine Weile neben Pens Bett auf und ab, dann ließ sie sich in den Plastikstuhl fallen und betrachtete ihre Freundin, die an ein Oberstufen-Kunstprojekt erinnerte: eine Collage aus Mullbinden, Stützverbänden und Klarsichtfolie. Der beißende Gestank von Antiseptika hing im Zimmer.
    »Die haben inzwischen deine Eltern erreicht«, erstattete Beth ihr Bericht. »Sie sind unterwegs. Deine Mum will dir offenbar Lamm-Samosas mitbringen. Ich dachte, sie wüssten, dass du Vegetarierin bist?«
    Durch eine Lücke zwischen den Verbänden waren die braunen Ovale zweier geschlossener Augen zu sehen. Pen war wach, aber sie wollte nicht reden.
    Beth zuckte mit den Kiefermuskeln. Sie wünschte, dass sie nie von Pens Seite gewichen wäre, dass sie die Gleisgeister und die Laternentänzer und den Krankönig gemeinsam entdeckt hätten: Es wäre ein Geheimnis gewesen, über das sie im Flüsterton hätten reden können, wann immer der Rest der Welt allzu laut an ihre Tür hämmerte.
    Geheimnisse wie diese waren der Kitt, mit dem man die Bruchstücke einer Freundschaft wieder zusammenfügen könnte.
    Beth sank noch ein wenig tiefer in ihren Stuhl, dann zog sie jäh einen Bleistift hervor und schnappte sich eine leere Seite aus dem Krankenblatt, das an der Seite des Bettes hing. Auf der Rückseite eines Essenstabletts strich sie es glatt und setzte den Stift aufs Papier.
    Sie hatte nicht vorgehabt, etwas Spezielles zu zeichnen – es juckte sie bloß, und sie kratzte sich – , sodass ihr ein leiser Schauer über den Rücken lief, als sie aus ihren raschen Strichen Fils übermütige Züge entstehen sah. Für eine Sekunde konnte sie nicht atmen, doch sie trieb den Stift weiter über die Seite. Es kam ihr vor, als stände sie unter
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