Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition)
Autoren: Andy Remic
Vom Netzwerk:
Prolog
    GEMETZEL
    »Ich weiß, dass du mich für sadistisch hältst. Aber in diesem Punkt irrst du. Wenn ich bestrafe, bereitet mir das kein Vergnügen. Foltere ich, mache ich das, um Wissen zu erlangen, um weiterzukommen – und um der Wahrheit willen. Und wenn ich töte …«, General Graal legte beide Hände auf die vereisten Zinnen und starrte ein wenig verträumt auf das Schwarzspitz-Massiv, das in der Ferne im bläulichen Nebel beinahe unwirklich schimmerte: riesig, trotzig, stolz und unbezwungen. Sein schmallippiges Grinsen war das eines Skeletts. »… töte ich, um zu fressen.«
    Graal drehte sich herum und starrte auf den vor ihm knienden Mann hinunter. Kommandeur Oberst Yax-Kulkain war achtundvierzig Jahre alt, ein erfahrener Krieger und Befehlshaber der Garnison in Jalder, Falanors größter Stadt im Norden; außerdem war Jalder ein Handelsposten, in dem die militärischen Nachschubrouten aus dem Osten, dem Süden und dem Westen zusammenliefen. Dieser Knotenpunkt war auch als das »Nördliche T« bekannt.
    Yax-Kulkain kauerte am Boden, seine Fäuste arbeiteten krampfhaft, während er in die blauen Augen von Graal starrte. Der General erkannte an den geweiteten Pupillen, dass der Kommandeur ihn trotz seiner Lähmung verstehen konnte. Graal lächelte, und seine dünnen weißen Lippen schienen auf unheimliche Art in der fahlen Haut seines weichen – einige würden behaupten femininen – Gesichtes zu verschwinden. Er fuhr mit der Hand durch sein weißes, schimmerndes Haar, zischte und nickte bedächtig. »Wie ich sehe, verstehst du mich, Oberst.«
    Yax-Kulkain murmelte etwas; es war ein animalisches Geräusch tief in seinem Hals. Er zitterte, verharrte in seiner erstarrten, knienden Position und hob mit ungeheurer Willenskraft den Kopf, während das Eis in seinem Bart knackte, starrte den General mit seinem blau angelaufenen Gesicht an und knurrte. Es krachte erneut, als er seine gefrorenen Kiefer öffnete. Eis fiel klirrend aus seinem Bart zu Boden. »Du … wirst … in der Hölle … verrotten!«, spie der fast vollkommen gefrorene Krieger aus.
    General Graal drehte sich um und warf einen beinahe sentimentalen Blick über die gefrorenen Befestigungen. Dann wirbelte er auf dem Absatz herum, schnell und geschmeidig, und seine dünne Klinge trennte dem Oberst den Kopf vom Körper. Der Schädel flog durch die Luft, prallte auf die Steine und zerbrach die Eisschicht auf ihnen. Für eine Weile rollte er noch hin und her, bis er schließlich zur Ruhe kam. Die Augen starrten blicklos in den bleiernen, verschneiten Himmel.
    »Das glaube ich kaum«, meinte Graal und warf einen Blick auf die lange Reihe von knienden Männern – starren, gefrorenen Soldaten, die sich über die gesamte, recht beträchtliche Länge der vereisten Bastionen erstreckte. »Mich beschleicht eher der Eindruck, als wäre ich bereits dort.« Er hob die Stimme. »Soldaten der Eisernen Armee!« Er machte eine dramatische Pause, und ließ die Stimme zu einem gutturalen Grollen herabsinken. »Tötet sie, ohne Ausnahme.«
    Wie mechanische Insekten traten Albino-Soldaten in einem synchronisierten Rhythmus hinter die Reihen der gefrorenen Infanteristen der größten Garnison Falanors; ihr weißes Haar peitschte im Wind, und die schwarzen Rüstungen bildeten einen düsteren Kontrast zu ihrer fahlen, wächsernen Haut. Schwarze Schwerter wurden gezückt, achthundert geölte Präzisionswaffen flüsterten leise, als sie aus den ledernen Scheiden fuhren. General Graal winkte einmal nachlässig mit der Hand, während er sich abwandte. Die Schwerter zuckten, pfiffen durch die Luft, durchtrennten Haut, Fett und Knochen, und achthundert Köpfe fielen von regungslosen Schultern polternd auf den Boden. Weil die Soldaten gefroren waren, gab es kein Blut. Ein sauberes Gemetzel.
    Vereister Rauch wirbelte über die Zinnen, wurde immer dicker und senkte sich allmählich über die prachtvolle und ahnungslose Stadt darunter, die hinter den zerschmetterten, schützenden Befestigungen der Garnison lag. Die Gebäude erstreckten sich anmutig und sehr ökonomisch vom breiten, halb gefrorenen Band des Selenau-Flusses aus über den steilen Hügel; als Graal seine seltsamen blauen Augen zu schmalen Schlitzen zusammenzog, wurde klar, dass dieses Eis alles andere als natürlich war; hier waren höchst bedrohliche Kräfte am Werk.
    Graal schritt die Reihe der kopflosen Leichen ab und betrachtete sie neugierig. Der wirbelnde Rauch wurde dicker. Und durch das Gemetzel glitten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher