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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
Autoren: Tom Pollock
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Straße, schleppt eine Spur von Gestank hinter sich her. Mit einem lang gezogenen Zischen atme ich aus.
    Frumm-ratter-ratter …
    Der schiefergraue Beton unter meinen Füßen fängt an sich zu bewegen, und der Wind frischt auf und lässt Regentropfen auf meine Wange prasseln. Der Brandgeruch kommt von der Mauer am Ende der Gasse, entströmt den Poren der Ziegel.
    Ein durchdringendes Wimmern erfüllt die Luft: das Kreischen von Stahl auf Stahl, wie fernes Wiehern verschreckter Pferde. Das Klappern wird lauter, lärmend stürzen die Fässer zu Boden.
    Ich höre den Hauch einer Dampfpfeife, ihr trauriges, hinfälliges Schlachtgeheul, und ich kauere mich auf den Boden. Licht sickert jetzt durch den Mörtel vor mir, lässt zwei gleißende, voll aufgeblendete Scheinwerferaugen sichtbar werden. Ich höre das Knirschen der Räder, die über einen Pfad aus Licht auf mich zujagen. Der Schrei entsteigt meiner Kehle, begrüßt sie, verflucht sie mit all ihren Namen: Loko Motiv, Railwraith, Gleisgeist –
    – und im selben Moment, als ihr Brüllen mich trifft, mache ich einen Satz auf die Seite und stoße zu –

Kapitel 2
    »Beth, mach schon «, flüsterte Pencil, »wir müssen los .«
    Beth betrachtete prüfend das Bild, das sie auf den Asphalt des Schulhofs gesprüht hatte. Sie drehte ihre Spraydose ein paarmal in ihrer Hand.
    »Beth …«
    »Es ist noch nicht fertig, Pen«, sagte Beth. Im trüben Widerschein der Laternen ringsum konnte sie nur den besorgten Finger am Kopftuch des pakistanischen Mädchens ausmachen. »Sei nicht so ’n Schisser.«
    Pencil marschierte gereizt auf und ab. » Schisser? Wie alt sind wir, zehn? Hast du an deinen Farben geschnüffelt? Ich mach keine Witze, B. Wenn irgendwer kommt, schmeißen die uns raus .«
    Beth schüttelte ihre Spraydose. »Pen«, sagte sie, »es ist vier Uhr morgens. Die Schule ist dicht. Sogar die Ratten haben’s aufgegeben und sind nach Hause gegangen. Wir haben wegen der Kameras unsre Gesichter verdeckt, als wir über die Mauer sind, obwohl’s hier Scheiße noch mal sowieso kein Licht gibt. Es ist keine Sau da und man kann uns nicht identifizieren, also worüber genau machst du dir Sorgen?« Beth hielt ihre Stimme ruhig, doch die Brust war ihr vor Aufregung wie zugeschnürt. Sie ließ die Taschenlampe über das Bild zu ihren Füßen wandern. Das Porträt von Dr. Julian Salt, dem Mathelehrer der Frostfield High, war ihr ziemlich gut gelungen, besser, als sie erwartet hatte, vor allem für eine hektische Arbeit im Dunkeln. Sie hatte seine gerunzelten Augenbrauen perfekt getroffen, ebenso wie die hohlen Wangen und die undurchsichtigen, bedrohlich wirkenden Brillengläser. Das Unkraut, das sich durch den Asphalt kämpfte, verstärkte noch den Effekt, denn es sah aus wie wild wucherndes Nasenhaar.
    Der Fairness halber: Beth hatte ihm obendrein auch eine brandige, sich abschälende Haut verpasst sowie eine zwölf Meter lange gespaltene Zunge, sich ganz offensichtlich also ein paar künstlerische Freiheiten herausgenommen, aber trotzdem …
    Das bist eindeutig du, du Scheißtyp.
    »Beth, sieh mal !«, zischte Pen, sodass Beth aufschreckte.
    »Was?«
    »Da oben – « Pen streckte den Arm aus. »Ein Licht …«
    Beth hob den Blick. Eines der Fenster im Haus gegenüber der Schule schimmerte in einem sanften, alarmierenden Orange. Genervt atmete sie aus. »Ist wahrscheinlich bloß irgend’ne alte Schachtel, die mitten in der Nacht mal aufs Klo muss.«
    »Von da oben aus kann man uns sehen «, beharrte Pen.
    »Wieso sollte das irgendwen kümmern?«, murmelte Beth. Sie wandte sich wieder dem Bild zu. Die komplette zwölfte Jahrgangsstufe an der Frostfield wusste, dass sie und Salt Feinde waren, aber das war nur die übliche Lehrer-Schüler-Aggro und beileibe nicht der Grund, warum sie hier war. Was nach Vergeltung verlangte, war die Art, wie Salt Pen behandelte.
    Sie wusste nicht, wieso, doch er schien eine gewisse boshafte Freude daran zu haben, ihre beste Freundin zu demütigen. Salt hatte Pen vielleicht grade mal halb so oft zum Nachsitzen verdonnert wie Beth, aber Pen war jedes Mal den Tränen nahe gewesen, wenn sie wieder rauskam. Und in der Mathestunde am Montag, als Pen darum gebeten hatte, auf die Toilette gehen zu dürfen, hatte Salt ihr eine glatte Abfuhr erteilt. Er hatte einfach weiter über quadratische Gleichungen geredet, dabei aber unverwandt Pen angestarrt. Auf seinem Gesicht hatte dieses Lächeln gelegen, als wollte er sie herausfordern , sich ihm zu widersetzen –
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