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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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– »und wie Judas hast du es unter Küssen getan.«
    Kleist räusperte sich, wischte mit dem Ärmel den Sand aus den roten Augen und wandte sich Goethe zu. »Herr Geheimrat, wenn Sie mir tatsächlich für Ihre Rettung danken wollen, habe ich zwei Bitten an Sie: Für den Ver rat an unsrer Gruppe soll Alexander gerichtet werden. Und für den Verrat an meinem Herzen will ich es tun.«
    »Nein!«, rief Bettine, der die Tränen über die Wangen rollten. Aber Goethe sah von Kleist zu Humboldt und zurück und nickte dann. Bettine vergrub ihr Antlitz in der Flanke ihres Rosses, um das heftige Tribunal nicht weiter ansehen zu müssen.
    Humboldt machte keine Anstalten zu fliehen, als Kleist seine Patronentasche hervorholte, um die Pistolen zu laden. Immer wieder fuhr sich Kleist dabei mit dem Ärmel über die Augen.
    »Dein Herz habe ich nicht verraten«, sprach Humboldt. »Ich habe dich aufrichtig geliebt und liebe dich noch immer.«
    Kleist antwortete darauf nicht. Der Ladestock fiel ihm ins Gras, und im Flackerlicht der Fackel konnten seine wunden Augen ihn nicht wiederfinden. Humboldt hob ihn auf. Kleist schnappte ihm das angebotene Eisen unwirsch aus der Hand und drückte damit die todbringenden Kugeln in den Lauf. Dann spannte er beide Pistolen.
    »Auf«, sagte er zu Humboldt. »Nimm du die Fackel.«
    Humboldt nahm die Fackel aus Goethes Hand und nickte ihm und Bettine zu. »Lebt wohl.«
    Bettine wollte dazwischentreten, aber Goethe hielt sie sanft zurück. Nun ging Humboldt in den Wald hinein, und Kleist humpelte ihm nach, in jeder Hand eine Pisto le. Im Schein der Fackel sahen sie aus wie die Figuren in einem Scherenschnitttheater. Bettine und Goethe sahen dem Irrlicht ihrer Fackel nach, bis es ganz von den Bäumen verschluckt war.
    In ihrem Trauerkleid setzte sich Bettine ins Gras. »Ich hasse euch. Was müsst ihr zwei Liebende, die sich gefunden haben, auf diese Weise entzweien?«
    Goethe starrte auf den Punkt in der Dunkelheit, wo er die Fackel der anderen zuletzt gesehen hatte. Ein Lichtpunkt tanzte vor seinen Augen. So warteten sie auf den unvermeidlichen Schuss.
    »Was ist mit dem Dauphin?«, fragte Bettine mit einem Mal.
    Goethe wandte sich zu ihr. »Der Dauphin ist tot.«
    »Was?«
    »Sei nur beruhigt, Karl ist wohlauf.«
    »Ich verstehe nicht –«
    »Karl geht es gut. Mehr musst du nicht verstehen«, sagte Goethe. »Kehrst du zurück nach Oßmannstedt?«
    »Ich gehe nach Frankfurt. Ich werde Achims Frau werden.«
    Goethe nickte. »Er ist ein guter Mensch.«
    »Das ist er, wenn er mich nach alledem noch liebt. Gott möge auch mir die Kraft geben, ihn ewig lieb zu haben.«
    Goethe griff sich in die Seite, weil seine Niere sich er neut schmerzhaft bemerkbar machte, und fasste verse hentlich in die offene Wunde, die Santing ihm geschlagen hatte. »Ich hoffe, du vergisst mich nicht.«
    »Was ich mit dir erlebt habe, ist mir ein Thron seliger Erinnerung.«
    Er tat einen Seufzer. »Wie wir einst so glücklich waren –«
    Im Wald zerbrach ein trockener Ast, und Goethe verstummte augenblicklich. Und nun sahen sie, wie Kleist allein und ohne Fackel aus dem Schatten der Bäume trat und zu ihnen zurückkehrte. Die beiden Pistolen pendelten wie bleischwere Glockenklöppel an seinen ausgestreckten Armen. Bettine erhob sich und trat an Goethes Seite, und schweigend warteten sie, bis Kleist, der bis zuletzt den Blick auf den Boden geheftet hatte, bei ihnen war. Dann sah er auf.
    »Ich konnte nicht«, sagte er. »Mein Leben und seines sind wie zwei Spinnen in der Schachtel. Entweder hätte ich ihn erschossen und danach mich oder keinen.« Die unbenutzten Pistolen ließ er achtlos ins Gras fallen.
    »Du bist der bessere Mensch«, sprach Goethe ehrlich beeindruckt. Er räusperte sich. »Höher vermag sich niemand zu heben, als wenn er vergibt.«
    Und nun breitete Goethe die Arme aus, ging auf Kleist zu und umarmte ihn mit geradezu väterlicher Herzlichkeit. Kleist ließ es geschehen. Er legte seinen Kopf matt an Goethes Schulter und schloss die Augen. Lange Zeit standen sie so unbeweglich wie die Linden um sie her um. Bettine fuhr ein Schauer über die Arme. Sie lehnte sich an den warmen Rücken ihres Pferdes und konnte die Au gen nicht von diesem Anblick nehmen.
    Als sich die beiden endlich voneinander trennten, lud Kleist Humboldts Waffen auf dessen Pferd, band es los und schickte es mit einem Schlag auf den Hintern hinaus in die Nacht, um seinen Reiter zu finden. Dann löste er die Zügel seines eigenen Rosses und stieg
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