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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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Goethe nahm Santings Pistole.
    »Wetter!«, pries Kleist. »Sie schlagen mir eine gute Faust!«
    »Geben Sie mir Ihren Säbel.«
    Kleist gehorchte und erhielt im Gegenzug die Pistole. »Alexander ist noch auf dem Dach. Bettine wartet vor dem Haus, gesetzt den Fall, die Mordbrut tritt den Rückzug an.«
    »Bettine? Humboldt? Ich bin sprachlos.«
    »Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung.«
    »Sie humpeln?«
    »Mein Flug durchs Fenster«, bestätigte Kleist, der in der Tat mit dem linken Fuß nicht auftreten konnte. »Zum Straucheln braucht’s doch nichts als Füße.«
    »Finden Sie den Holländer. Es ist von weltbewegendpoetischer Wichtigkeit, hören Sie, dass Sie ihm eine le derne Dokumentenmappe abjagen mit dichtbeschriebe nen Papieren darin.«
    »Und der Ingolstädter –«
    »– ist gerichtet. Überlassen Sie ihn mir.« Goethe lief voran in den Flur und das Treppenhaus hinab.
    Er kam noch zeitig in die Eingangshalle vor der großen Freitreppe: Santing öffnete gerade die Türen, um mit Madame Botta in die Nacht zu entschwinden. Sie hatte es so eilig, dass sie sich nicht einmal einen Mantel über das Kleid gezogen hatte.
    »Nicht weiter!«, rief Goethe, dass es wie die Stimme eines Rachegottes durch die Halle gellte.
    Santing drehte sich zu Goethe um. Die Narbe auf seinem Hals leuchtete wie frisch versengte Haut. »Gehen Sie nur zur Kutsche«, raunte er Madame Botta zu, »ich folge Ihnen sogleich.« Er trug keinen Säbel am Gürtel, aber nun hob er Stanleys Spazierstock an und sagte: »Sir William hat mir ein nützliches Erbe hinterlassen: ein Stock wie die Engländer – außen hölzern, innen eisern.« Mit diesen Worten drehte er den Knauf mit dem Löwenkopf und zog ihn vom hölzernen Schaft. Aus dem hohlen Holz kam ein Florett zum Vorschein. Santing warf das Holz grinsend von sich.
    »Mach deine Rechnung mit dem Himmel«, sagte Goe the und schritt die restlichen Stufen hinab. »Deine Uhr ist abgelaufen.«
    »Schwätze nicht, alter Mann. Nur zugestoßen! Ich pariere.«
    »Pariere den!«, rief Goethe und schlug zu, aber seine Klinge glitt von der Santings ab.

    Während Schwertgeklirr die Halle füllte und von den Spiegeln und marmornen Wänden zurückgeworfen wurde, lief Sophie Botta die Freitreppe hinab. Sie nahm eine brennende Fackel aus ihrer Halterung in der Wand, und mit dieser überquerte sie den Vorplatz zu den Stallungen. Sie stieß die Tür auf, setzte die Fackel ab und suchte nach einem Sattel und Zaumzeug, um eines der vier Pferde, die ihr plötzlicher Eintritt aus dem Halbschlaf geweckt hatte, einzuspannen.
    »Sophie Botta?«
    Die Angesprochene wirbelte herum. Im Tor der Scheune stand Bettine. Sie trug ein schwarzes Trauerkleid und war daher schwer in der Dunkelheit zu erken nen. »Ich muss Sie bitten, nicht zu fliehen«, sagte sie, »und hoffe, dass Sie sich mir freiwillig ergeben.«
    Madame Botta antwortete nicht. Sie legte den Sattel, den sie gerade vom Bock gehoben hatte, auf einen Strohballen nieder, raffte ihr schwarzes Kleid und zog zwischen Stiefel und Schenkel ein Stilett hervor.
    Bettine hob eine Augenbraue in die Stirn, als sie die schmale Klinge im flackernden Licht glänzen sah. »Was ist das?«
    »Das ist ein Messer.«
    Auf diese Replik zog Bettine ihrerseits den Hirschfänger aus einem Futteral am Kleid, dessen Klinge um ein Vielfaches größer war, und sprach: » Das ist ein Messer.«
    Madame Botta begriff, dass sie im Nachteil war. Sie ließ ihre Waffe sinken und schleuderte sie dann, Spitze voran, auf Bettine. Diese duckte sich unter dem Geschoss hinweg. Das Stilett grub sich auf dem Vorplatz in die Erde ein. Nun waffenlos, trat die Französin die Flucht durch die dunklen Stallungen an, und Bettine, das Jagdmesser in der Hand, folgte ihr.

    Nachdem Kleist Humboldt durch das zerbrochene Fenster zugerufen hatte, er könne vom Dach herabsteigen, machte er sich, durch seinen wehen Fuß behindert, auf die Suche nach dem Holländer. Da er ihn zusammen mit den anderen die Treppe hinablaufen gehört hatte, humpelte auch er jetzt in das untere Geschoss und öffnete dort eine Tür nach der anderen. Eine Klinke schließlich gab seinem Griff nicht nach, und hinter der verriegelten Tür waren Geräusche zu hören.
    »Aufmachen!«, rief Kleist, »aufmachen, sag ich, oder ich sprenge die Tür!«
    Da niemand seinem Befehl Folge leistete, warf sich Kleist mit der Schulter und seinem ganzen Gewicht gegen die Tür und hielt dabei die Klinke in der Hand, wieder und immer wieder, bis das Schloss
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