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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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endlich aus dem Holz splitterte. Ein letzter Anlauf, dann flog die Tür auf. Im Gemach dahinter, von wenigen Kerzen erleuchtet, war Vavel de Versay soeben durch das offene Fenster geflohen. Kleist sah nur noch seine Rockschöße wehen, und ein prächtiger Krug von Delfter Blau, der auf dem Sims gestanden hatte, stürzte durch de Versays Unachtsamkeit auf den Boden und zerschlug. Kleist eilte zum Fenster. De Versay war nicht gesprungen: Er kletterte am Weinlaubspalier abwärts, und Kleist, mangels eines Säbels, nahm die pfundschwere Klinke, die er beim Aufbrechen aus der Tür gerissen und nicht losgelassen hatte, und zog dem Grafen das umgekehrte Ende des Stahls über das Gesicht. Ein Klumpen Blei hätte den Holländer nicht übler treffen können. Mit einer klaffenden Wunde quer über Nase und Wange fiel de Versay zu Boden – und blieb gleichwohl nicht liegen: Verletzung und Sturz zum Trotz rappelte er sich im Dunkeln auf.
    »Lebst du noch!«, fluchte Kleist. »Dass dich der –«
    Doch gerade, als er auf den Sims stieg, um dem anderen nachzuspringen, warf ihm de Versay eine Handvoll grobgekörnten Sandes, die er eilig aufgelesen hatte, ins Gesicht, der Kleist so blendete, dass er kaum die Hand vor Augen ausmachen konnte, geschweige denn den Holländer im Dunkel der Nacht.
    »Halunke!«, rief Kleist, und während er mit einer Hand die brennenden Augen bedeckte, feuerte er mit der anderen die Pistole blind ins Dunkel ab. »Pest, Tod und Rache!«
    Doch de Versays konnte er nicht mehr habhaft werden, und das Einzige, was dieser zurückgelassen hatte, war seine Perücke, die beim Sturz am Kreuzgeflecht des Weinstocks unter dem Fenster hängengeblieben war.
    Nun aber, da Kleists Sehsinn betäubt war, bemerkte sein Geruchssinn etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war: Es roch nach Brand. In der Tat, Rauch zog durch den Raum. Er zwang sich, die verhagelten Augen zu öffnen, auch wenn der Schmerz ihn schier in den Wahnsinn trieb, und durch die Tränen und den Sand sah er, dass de Versay eine Rolle von Papieren achtlos in den Ofen gesteckt, wo sich diese an der Glut entzündet hatte und nun lichterloh in Flammen stand. Mit einem Satz war Kleist beim Feuer, zog das Manuskript aus dem Ofen und trat so lange darauf herum, bis jede Flamme, jede rotglühende Kante, die das Papier aufzehrte, erloschen war und kein Rauch mehr von den kostbaren Seiten aufstieg. Als Kleist jedoch das Manuskript anhob, fiel der untere Teil in verkohlten Schnipseln zu Boden, die man noch weniger als den Delfter Krug wieder zu einem Ganzen hätte zusammenflicken können. Kleist hatte nicht einmal die Hälfte retten können. Umrahmt vom Ruß und den Abdrücken seiner Sohlen, leuchtete ihm der Titel des ruinierten Werks in Schillers geschwungener Schrift entgegen, D EMETRIUS , und verschwamm dann wieder hinter Tränen.
    Kleist verstaute die Handschrift in seinem Rock und ging dem Lärm des Säbelkampfes nach in die Eingangshalle. Er traf dort zur gleichen Zeit ein wie Bettine, die über die Freitreppe gestiegen war und nun im offenen Eingang stand. Beide wurden sie Zeuge der letzten Züge des Duells zwischen Goethe und Santing. Der Weimarer war dem Ingolstädter in Können und Ausdauer unterlegen, ihm floss der Schweiß in Strömen über das Gesicht, und ein Schnitt hatte sein Hemd an der Seite rot gefärbt – aber seine Waffe war die kräftigere, und allein durch sei ne Beharrlichkeit hatte er den Capitaine so zur Weißglut getrieben, dass dieser wiederum begonnen hatte, Fehler zu machen. Mit dem schmalen Florett drosch er auf Goethe ein, dem nichts blieb, als zu parieren und zurückzuweichen, und bei einem dieser Schläge geschah es, dass die schmale Klinge des Floretts entzweibrach. Ungläubig starrte Santing auf den Löwenknauf mit dem kürzeren Ende, der ihm geblieben war. Goethe aber legte seine Schneide an Santings Kehle, bereit, bei der geringsten Bewegung die Adern am Hals zu durchtrennen. Der Einäugige grinste selbst jetzt. Langsam ging er vor Goethe auf die Knie.
    Bettine und Kleist, die die beiden Kämpfer bis dahin wie Salzsäulen so regungslos angestarrt hatten, traten nun an Goethe heran. Dieser aber nahm den Blick nicht von seinem Gefangenen. »Wo ist die Botta?«, fragte er.
    »Bei der Scheune«, meldete Bettine, »und wird so bald nicht erwachen, die tolle Blutwurst. Ich schlug ihren verschleierten Kopf vor einen Holzbalken, dass ihn nun der Schlaf umschleiert.«
    »Und de Versay? – Weinen Sie etwa, Herr von Kleist?«
    »Es ist
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