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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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Einsturz des Musentempels, da er den Dauphin unter den Trümmern begraben glaubte, und nachdem wir den Kyffhäuser gemeinsam verlassen hat ten, wie versprochen gehen. Das ist die ganze Geschichte.«
    Bettine schüttelte den Kopf. »Aber warum? Doch nicht aus … Angst?«
    »Nicht doch. Ich tat es, weil ich letzten Endes die gleichen Ziele verfolgte wie Santing. Unsre Auftraggeber, Bettine, sind Königstreue und Fürsten, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen in eine Zeit vor der Revolution in Frankreich. Das darf nicht sein. Von dem Moment an, da Herr von Goethe uns offenbarte, dass wir nicht aufgebrochen waren, um Karl zu retten, sondern um ihn zurück auf den Thron zu setzen, um das Volk von Frankreich von Neuem zu versklaven, da wurde mir unsre Kampagne zuwider. Sie achten Napoleon, Herr von Goe the, und hassen die Revolution. Bei mir ist es umge kehrt. Ich hasse Napoleon, aber ich schätze ihn doch hö her als jeden andren Fürsten Europas. Und wenn es eben nicht anders geht, werde ich lieber von den Franzosen befreit als von den Deutschen unterdrückt. Wer mich regiert, das soll mir gleich sein, nur wie er mich regiert, das wird es nimmer.«
    »Sie überraschen mich«, sagte Goethe.
    »Unmöglich. Was dachten Sie denn, als Sie mich ba ten, Sie und Herrn von Schiller zu begleiten? Dass aus einem Freund Forsters, einem Freund Bonplands, einem Weggefährten ausgewiesener Revolutionäre ein glühender Kämpfer wird gegen Napoleon, der wie kein Zweiter die Revolution verkörpert, und das nur, weil ich ein Deut scher bin? Entscheidend ist nicht die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland, sondern die zwischen oben und unten. Ich habe die Revolution in Paris erlebt, und es wird für mich immer die lehrreichste und unvergesslichs te Spanne meines Lebens bleiben. Es hat nichts gemein mit den blutrünstigen Schauergeschichten, die Sie damals im fernen Weimar in den Journalen lasen. Es gab eine Zeit vor den Guillotinen. Der Anblick der Pariser, ihrer Nationalversammlung, ihres noch unvollendeten Freiheitstempels auf dem Marsfeld, zu dem ich selbst den Sand gekarrt habe, schwebt mir wie ein Traumgesicht vor der Seele. Das war die Morgenröte der Französischen Revolution, ein Aufbruch in ein neues goldenes Zeitalter, und ich täte den Teufel, die Franzosen in ihrem Fortschritt zu hemmen. Deswegen war ich willens, Karl zu opfern, und deswegen hatte Santing keine große Mühe, mich zu überzeugen. – Unnötig zu sagen, dass ich nie wollte, dass euch ein Schaden zustößt, und dass ich nach dem Ein sturz der Höhle die allergrößten Vorwürfe und Qualen litt. Al lein den Dauphin wollte ich verraten, nie aber euch.«
    Nun nahm Humboldt auch seine Peitsche, die er abzugeben vergessen hatte, vom Gürtel und händigte sie Goethe aus. »Richtet über mich. Ich akzeptiere euer Ur teil, und wenn es der Tod sein sollte.«
    »Was erwarten Sie?«, fragte Goethe. »Gnade, nach dem Sie soeben den Ingolstädter in kaltem Blute richteten?«
    »Sie wollen uns sicherlich nicht vergleichen.«
    Kleist, der sich bis eben in einer seltsamen Starre befunden hatte, unfähig zu sprechen oder zu handeln, unfähig gar, auch nur die Zügel seines Pferdes aus der Hand zu legen, erwachte nun endlich zum Leben, und er tat es mit der Heftigkeit eines Vulkans, der nach Jahrhunderten der Ruhe plötzlich explodiert. Noch bevor er sprach, entblößte er den Eisenring um seine linke Hand. »Verräter! Du elendiger Verräter!«
    »Heinrich –«
    »Sprich meinen Namen nicht aus, er wird zu Unflat in deinem Mund! Wir wären um ein Haar verreckt im Kyffhäuser, und du bist schuld daran!«
    »Santing gab mir sein Wort, dass euch nichts zustößt.«
    »Und was?«, schrie Kleist. »Wenn dir der Wolf sein Wort gibt, die Lämmer nicht zu reißen, öffnest du ihm dann die Koppel? Hat dir ein böser Dämon den Verstand geraubt, Alexander? Was du getan hast, ist nicht mehr leichtsinnig zu nennen: Du hast die Kugeln gelenkt, die auf uns abgefeuert wurden. Dass du dafür zu Asche würdest!«
    »Verstehst du denn wenigstens meine Gründe? Die Revolution –«
    Kleist, der bis auf wenige Fuß an Humboldt herangekommen war, trat nun einen Schritt zurück. Den Kopf hielt er mit beiden Händen. »Mir ist mittlerweile alles gleich: die Revolution, die Republik, die Monarchie; Napoleon, Louis, Karl; Deutschland, Frankreich und Eu ropa – nur du, du warst mir am Ende wichtig. Ich habe einen Judas geliebt! Wie Judas hast du uns verraten« – und hier brach seine Stimme
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