Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
gegenüber Friedhöfen und allem, was mit dem Tod zu tun hatte. Kleist aber war es später gelungen, an die Vulpius heranzukommen, und diese wiederum hatte mit großer Sorge berichtet, wie Goethe am vorangegangenen Abend eilig südwärts geritten war. Darauf hatten sie sich keinen Reim zu machen gewusst, aber alle hatten auf unerklärliche Weise gespürt, dass sich der Dichter in größter Gefahr befand. In diesem Moment war ihnen keine andere Wahl geblieben, als den anwesenden Herzog selbst zu befragen. Nachdem sie sich dem Herzog als drei der Königsräuber vorgestellt hatten und dieser ihnen seinen persönlichen Dank ausgesprochen hatte, hatten sie die Sprache auf Goethe gebracht. Doch auch Carl August hatte ihnen keine Antworten geben können, denn das einzige Ziel, das Goethe im Süden hätte erreichen können, war zum Ersten kein Lager der Bonapartisten, sondern vielmehr das Gegenteil, und zum Zweiten hatte er einen Eid darauf geleistet, es nie zu offenbaren. Sosehr die Gefährten ihn auch bestürmt hatten, diesen einzigen Anhaltspunkt preiszugeben, war der Herzog stumm geblieben, bis Bettine gefragt hatte: »Wollen Sie binnen Tagen auch den zweiten großen Dichter des Herzogtums verlieren und einen Freund dazu?« Die Angst um Goethe hatte Carl Augusts Widerstand schließlich gebrochen, und er wiederum brach seinen Eid und berichtete vom Versteck der Ma dame Botta und des Grafen de Versay im Sachsen-Hildburghausener Fürstentum. Von einem plötzlichen Feuer beseelt und ohne sich für den Ritt ins Ungewisse auszurüsten, ja, ohne auch nur die Trauerkleider gegen Reisegewänder zu wechseln, waren die drei in selbiger Nacht auf ihre Pferde gestiegen und auf Stürmen nach Eishausen geritten, wo sie vierundzwanzig atemlose Stunden später und keine Minute zu früh eingetroffen waren. Das herrenlose Pferd, das sie kurz vor dem Schloss im Wald entdeckt hatten, war untrüglicher Beweis für ihr Gespür und gleichzeitig Mahnung, sich zu eilen.
    Da ihm alle Worte des Dankes für diese aufopferungsvolle Rettung vom Tode unzureichend erschienen, sagte Goethe nach dem Abschluss von Bettines Bericht nur: »Es lief mir so warm übers Herz wie ein Glas Brannt wein, euch wiederzusehen.«
    Schweigend gingen sie die letzten Schritte, bis sie bei den Rössern waren. Humboldt, Kleist und Bettine hatten ihre Pferde in der Gesellschaft von Goethes Gaul angebunden. Bettine steckte ihre Fackel in das Astloch einer Linde, und gemeinsam banden sie die erschöpften Pferde los. Nur Goethe rührte sich nicht.
    »Warum haben Sie Santing getötet?«, fragte er Humboldt.
    Humboldt sah vom Zaumzeug auf. »Was meinen Sie? Wäre es Ihnen lieber gewesen, ich hätte den Schuft am Leben gelassen?«
    »Ich denke nicht. Aber Rache war nicht der Grund, weshalb Sie ihn töteten. Dieser Santing starb Ihnen sehr gelegen.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich konnte mir bislang nicht erklären, weshalb San ting, dieser mit allen Wassern gewaschene Offizier – dem es immerhin gelungen war, Sie auf dem Weg nach Weimar zu fassen –, Sie nach der Schlacht am Kyffhäuser am Leben ließ, obwohl er doch sonst keinen seiner Gegner schonte, und mehr noch: wie Sie aus seinem Gewahrsam entkommen konnten. Heute Nacht, glaube ich, habe ich die Lösung gefunden.« Alle Augen waren nun auf Goethe gerichtet. Kleist und Bettine starrten ihn mit offenen Mündern an. »Sie hatten eine Abmachung mit dem In golstädter. Ist es nicht so?«
    Humboldt antwortete nicht. Goethe nickte.
    »Ihre Waffen bitte, Herr von Humboldt.«
    Unter den ungläubigen Blicken der anderen zog Humboldt seine Pistole aus dem Futteral und den Säbel aus der Scheide und überreichte beides Goethe. Der legte die Waffen bei seinem Pferd ab.
    »Allmächtiger«, sagte Kleist, »das ist ungeheuerlich! Alexander, so schimpf sein Irrgeschwätz schon Lügen, in Henkers Namen!«
    »Er spricht wahr«, erwiderte Humboldt. »Auf meinem Ritt nach Weimar, unweit vom Kyffhäuser, hatte ich das Pech, Mittag zu machen in einer Herberge, in die wenig später auch die Franzosen kamen, und sowohl Flucht als auch Kampf waren unmöglich. Santing verlangte, dass ich ihn zu Louis-Charles führe, und im Gegenzug wollte er mich unbeschadet ziehen lassen. Ich willigte ein, je doch unter dem Beding, dass nicht nur ich, sondern auch ihr freies Geleit bekommen solltet. Als ihm, in unserm La ger, Karl nicht ausgeliefert wurde, glaubte er sich auch nicht mehr verpflichtet, euer Leben zu schonen. Mich aller dings ließ er nach dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher