Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
zu vergiften.«
    Die Französin nickte. Allmählich schien ihre Geduld zur Neige zu gehen. Santing hob seine Pistole: »Darf ich?«
    »Kein Blut und keinen Lärm«, erwiderte sie, und zu Goethe sagte sie: »Gedenken Sie den nächsten Becher zu trinken?«
    »Mitnichten. Ich gedenke mich zu wehren wie ein wildes Schwein.«
    Madame Botta klingelte nach ihren Dienern und erteil te ihnen Anweisungen. Darauf packten Santing und der jüngere Diener Goethe. Goethe schlug, trat und biss um sich wie ein tollwütiger Hund, aber die anderen waren ihm überlegen, und fester und immer fester wurde ihr Griff, und mehr und immer mehr gaben seine Glieder nach. Schließlich hielten sie ihn am Boden, dass er sich nicht mehr rühren konnte. De Versay nahm eine zweite Phiole aus dem Koffer, brach den versiegelten Korken auf und reichte sie weiter an den weißhaarigen Diener. Diesmal sollte Goethe das Gift unverdünnt verabreicht bekommen. Goethe presste die Lippen so fest wie möglich zusammen. Der Diener beugte sich über ihn, die Phiole in der rechten Hand, und hielt mit der linken Goethes Kinn. Doch Goethes Lippen waren nicht zu öffnen. Vom fernen Turm der Eishausener Kirche schlug es Glock eins. Der junge Diener versuchte, die Kiefer mit Gewalt voneinander zu trennen, aber da auch das nicht glückte, verschloss Santing Goethes Nase, sodass dieser, wollte er nicht ersticken, früher oder später den Mund öffnen musste. Goethe spürte, wie sich seine Lungen schmerzhaft zusammenkrampften. Er ließ die Augen nicht von der tödlichen Ampulle und dachte an ihren missglückten Überfall auf die Kutsche im Hunsrück. Diesmal aber würde ihm Kleist nicht aus der Bredouille helfen. Die Luft wurde knapp.
    Jählings zerbarst eines der hohen Fenster, und hindurch kam, wie ein Kugelblitz aus finstren Wetterwolken, Heinrich von Kleist, am ganzen Körper schwarz gekleidet. Im Flug ließ er die Peitsche frei, an der er sich in den Salon gestürzt hatte, und rollte über den Teppich aus, eine Spur von Scherben hinter sich. Kaum ausgerollt, sprang er auf die Beine, zog die Pistolen mit dem Familienwappen aus dem Gürtel und rief: »Haut les mains!« – aber der ungestüme Purzelbaum drehte in seinen Sinnen fort – ein schneller Walzer hätte ihn nicht übler wirbeln können –, dass er wie ein fehlgeleiteter Kreisel einen trunkenen Schritt zur Seite machte, strauchelte und stürzte. Zu allem Unglück löste sich dabei eine der beiden Kugeln und zerschlug ein heil gebliebenes Fenster.
    Die Aufmerksamkeit war aber vollends von Goethe abgelenkt, sodass sich dieser aus der Umklammerung seiner Feinde befreien und dem Diener die Ampulle aus der Hand schlagen konnte. Das Gift kullerte übers Parkett und unter eine Kommode. Kleist hatte sich wieder erhoben, gerade noch rechtzeitig, um einen Warnschuss auf Santing abzugeben, der nach seiner Pistole greifen wollte, die noch immer im Sessel lag. Nun warf Kleist die Pistole von sich und zog den Säbel blank. » Haut les mains sag ich, ihr Kanaillen!«
    Goethe wollte aufstehen, aber Santing stieß ihn wieder zu Boden. Dann folgte Santing Madame Botta und Graf de Versay, die den Salon verließen. »Das Manuskript!«, rief die Botta ihrem holländischen Begleiter zu. Santing deckte die beiden, bis sie im Flur waren, und schlug dann die Tür hinter sich zu. Kleist wollte den dreien nach, aber der junge Diener stellte sich ihm in den Weg, statt eines Säbels einen Schürhaken in der Hand, den er vom Kamin aufgenommen hatte. Damit hieb er nach Kleist, dass es in der Luft surrte. Kleist wich vor dem schwarzen Eisen zurück.
    Aus dem Augenwinkel sah Goethe, dass der weißhaarige Diener Santings Pistole im Sessel erblickt hatte und aufzunehmen gedachte, und gerade noch rechtzeitig konnte Goethe dessen Ferse packen und ihn zu Fall brin gen. Der Lakai trat nach ihm und traf ihm mit dem Hacken ins Gesicht und gegen die Schulter, aber bald kniete Goethe über ihm, ballte die Rechte zur Faust und ließ sie entschlossen auf das Antlitz des Mannes niedersausen. »Faust eins«, sagte er und mit dem Schlag der Linken: »Faust zwei!« Faust zwei hatte dem Alten den Rest gegeben: Seine Lider fielen zu und der Kopf schlaff zur Seite.
    Kleists Gegner hatte indes bei einem Schlag ins Leere derart die Balance verloren, dass Kleist den Griff seines Säbels mit aller Kraft in dessen Genick hatte dreschen können. Der Diener war halb auf dem Tisch zusammengebrochen und hatte einiges Porzellan und Tafelsilber mit sich zu Boden gerissen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher