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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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fröhliche Gezwitscher der Vögel muteten ihm wie Hohn an, und er musste an seinen eigenen Garten an der Ilm denken und an Weimar und an Christiane und August. Zwischen den Büschen und Beeten schritt eine trächtige schwarze Katze umher. In der Ferne stach der Kirchturm von Eishausen aus den Baumkronen hervor, aber es war zu weit, um nach Hilfe zu rufen. Madame Botta und ihr holländischer Schatten hatten ihre Residenz im Exil weise gewählt. Als die Sonne um das Haus gewandert war und direkt in seine Zelle schien und ihm den Schweiß auf die Stirne trieb, trat er vom Fenster zurück und warf sich mutlos auf sein Lager. Selbst in der Grotte tief im Schoße des Kyffhäusers, in der seine Lage kaum rosiger gewesen war als jetzt, hatte er sich nicht so gefürchtet.
    Schließlich äußerte Goethe doch noch einen Wunsch, den man ihm vor seiner Hinrichtung gewähren sollte: Er bat um eine Henkersmahlzeit. Dabei wünschte er kei neswegs, gut gesättigt in den Tod zu gehen, nein, er wollte nur keine Möglichkeit des Aufschubs unversucht lassen. Seiner Bitte wurde stattgegeben, und die Köchin des Hauses tischte ein exquisites Souper mit vier Gängen auf, wovon Goethe das meiste aber unberührt auf dem Teller ließ. Denn Hunger hatte er keinen. Und auch die beiden anderen am Tisch, de Versay und Sophie Botta, aßen kaum. Der ehemalige Capitaine saß abseits auf einem Sessel beim Kamin, wie immer mit einer Pistole im Anschlag und dem englischen Spazierstock neben sich. In der Feuerstelle brannten einige Scheite, obwohl es draußen trotz Einbruch der Dunkelheit noch immer drückend heiß war. Hinter den hohen Fenstern lag die mondlose Nacht wie ein Vorhang von schwarzem Samt. Goethe schwitzte so sehr, dass ihm zweimal das Messer aus der Hand glitt.
    Vom Dessert schließlich nahm sich Goethe reichlich nach, aber die Stunde seines Todes war nicht weiter hinauszuzögern.
    »Bringen wir es hinter uns«, sagte Madame Botta. Darauf verschwand Graf de Versay in einem Nebenzimmer und kehrte mit einem kleinen Holzköfferchen zurück. Er öffnete und entnahm ihm eine Phiole mit einer bräunlichen Flüssigkeit. Auch Madame Botta und Goethe erhoben sich. Nur Santing blieb sitzen.
    »Wenn es Ihnen Trost ist«, sagte der Holländer, dem anzusehen war, wie unwohl ihm bei dieser strengen Maßnahme war, »wir werden Sie selbstverständlich christlich beerdigen.«
    »Mir ist es kein Trost, und Ihnen wird es vor Gottes Gericht auch nicht helfen.«
    »Ihr Nachruhm zumindest wird ins Unermessliche gesteigert«, sagte Madame Botta. »Der große Goethe, der am Tage von Schillers Tod und auf der Höhe seines Schaffens ohne eine Spur verschwindet. Sie werden unsterblich sein.«
    »Ich zöge es vor, die Unsterblichkeit nicht durch mein spurloses Verschwinden zu erlangen, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe.«
    »In welches Getränk wünschen Sie die Tropfen? Wir haben Wein oder aber Limonade.«
    »Gott allbarmherziger!«, höhnte Goethe. »Gift in der Limonade und sterben! Das ist zu abgeschmackt. Gebt mir einen Trunk Wasser.«
    Madame Botta überließ es nun dem Holländer, Goethe in ein Glas Wasser das Gift zu mischen. Goethe fixierte sie. »Wenn ich den Trank gestürzt habe, erzählen Sie mir dann, wer sich hinter dem Schleier verbirgt?«
    »Nein.«
    »Gut. Es interessiert mich eh nicht.«
    Santing rührte sich. » Ich kann Ihnen ein pikantes Geheimnis anvertrauen, an dem Sie den Weg hinüber kauen können.«
    »Sie? Was sollte das sein?«
    »Ihren feinen Kameraden Humboldt betreffs.«
    Tatsächlich gelang es dem Ingolstädter, Goethe mit der Erwähnung Humboldts noch einmal zu verwirren. »Was ist mit ihm?«
    Santing nickte dem Becher zu, den de Versay jetzt Goethe reichte. »Sie erfahren es, sobald Sie geschluckt haben. Und bestellen Sie auf der anderen Seite Ihrem Freund Schiller beste Grüße.«
    Goethe besah den Becher. Das Gift hatte sich ohne ei ne Spur im Wasser aufgelöst. Er dachte an Schiller. Würde er ihn tatsächlich wiedersehen? Er hob den tödlichen Trank und sprach: »So soll mich der Tod ihm vereinen.« Dann kippte er den Becher über dem Teppich aus, der Wasser und Gift schnell aufsog. Das Glas stellte er auf dem Tisch ab. »Sie denken doch nicht allen Ernstes, dass ich mich zum Handlanger Ihrer feigen Meuchelmorde machen lasse, Sie bourbonische Hexe.«
    »Sie wissen natürlich«, sagte Madame Botta, »dass wir noch einige Ampullen vorrätig haben. Wir werden damit fortfahren.«
    »Wie ich damit fortfahren werde, Ihren Teppich
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