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Die Hexe soll brennen

Die Hexe soll brennen

Titel: Die Hexe soll brennen
Autoren: Manfred Böckl
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Prolog
    1633 bis 1683
    »Er schlug auch tausend Bauern
und tausend noch darzu , die sich wie Wall und Mauern,
ihm widerlegeten . Nach diesem warf er Stauff .
Ein Felsen festes Schloß zur freyen Luft hinauf.«
    (Celadon von der Donau in einem poetischen Traktat über den Feldzug Bernhards von Weimar in Bayern)
    Jörg Grueber drückte sich so tief wie möglich in den Windschatten der Turmzinne, duckte sich zusammen, schien wie eine Schildkröte in ihrem Panzer ganz und gar in seinem Harnisch verschwinden zu wollen. Doch auch der reifbeschlagene Stahl gewährte dem mageren Musketier keinen Schutz; der Wind hier oben auf der Plattform des Fählturms pfiff zu scharf, und in diesem Augenblick bereute Jörg, daß der Obrist Lorenz Nusse ihn nicht für den Überfall, sondern zur Wache eingeteilt hatte. Dabei hatte er sich erst vor einer Stunde über die achtzig Kameraden lustig gemacht, als die mit blassen Gesichtern und flackernden Augen abgerückt waren, um den Hinterhalt zu legen.
    Der Ostwind frischte auf und trieb faserige Fladen von ausgefrorenem Schnee über den schmalen Talboden weit unten zwischen Donau und Burgberg. Jörg sah sie pulvernd dahinstreichen, und es kam ihm vor, als würde ein Leichenlaken über das erstarrte Land gezogen. Etwas in seiner Herz- und Kehlgegend quoll auf; ein undefinierbares Angstgefühl, das er immer wieder verspürt hatte, seit die Werber ihn vor etwas mehr als einem dreiviertel Jahr aus der Kate drei Stunden weiter unten am Strom, in Geisling, geholt und zu den Soldaten des Münchners gesteckt hatten.
    Jörg Grueber schluckte und krampfte die Hand wie hilfesuchend um das Schloß seiner Muskete. Und dann sah er, wie sich die ersten Karren der Schweden aus dem stöbernden Schnee lösten.
    Sie kamen auf dem alten Treidelpfad des linken Ufers heran, zweirädrige, flachbordige Gefährte, jedes von zwei Ochsen gezogen. Die Peitschenschläge der Treiber knallten wie Arkebusenschüsse durch die kalte Luft, zwischen den Wagen stapften in kleinen Rotten Söldner. Das Blau und Gelb ihrer Umhänge wirkte, vom Fählturm der Festung Donaustauf aus gesehen, seltsam farblos und verwaschen.
    Immer mehr Ochsenkarren wurden es, bis sich durch das Tal ungefähr sechzig von ihnen wie ein zittriger Wurm wanden. Als der Kopf dieses Wurms die Stelle erreicht hatte, wo ein Ausläufer des Burgbergs sich besonders nahe an den Strom heranschob, blitzte es inmitten des Schneegestöbers an zwei Dutzend Stellen plötzlich scharf und rot auf. Als Jörg den Schall der Musketenschüsse vernahm, hatte sich der Obrist mit seinen achtzig Mann bereits mit blanker Klinge auf die überraschten Schweden geworfen.
    Der Kampf war kurz. Der Karrenzug bewegte sich noch ein Stück weiter, ballte sich dann ineinander und kam in einem ungeordneten Knäuel zum Stocken. Die Ochsentreiber lösten sich unangefochten aus dem Scharmützel und flohen nach Nordwesten, der Reichsstadt Regensburg zu. Wenige Augenblicke später folgten ihnen auch die überlebenden Schweden, vierzig oder fünfzig Mann, darunter eine Handvoll Dragoner, die in voller Karriere durch Riedgras und Erlengestrüpp davonpreschten.
    Jörg Grueber, allein auf der Plattform des Fählturms kauernd, mußte lachen, aber es klang schrill und bitter. Tief in der Kehle spürte er den Geschmack von Galle. Er schluckte das Bittere hinunter, schluckte auch das Lachen hinunter und sah, wie sich die Leute des Obristen der herrenlosen Karren und Zugtiere bemächtigten, wie sich das wirre Knäuel erneut zum Wurm ordnete und die Richtung zur Burg einschlug. Der Talboden unten blieb dennoch nicht unberührt zurück. Zwölf oder fünfzehn dunkle Flecke sprenkelten das Grau-weiß der unruhigen Schneefläche, und als der Wagenzug das äußere Tor der Burg erreicht hatte, landeten bereits schwerfällig flatternd die ersten Geier bei den Toten. Als Jörg die Aasvögel tanzen und kröpfen sah, kehrte das Angstgefühl in Herz- und Kehlgegend noch stärker zurück, und dieses Mal konnte er nicht mehr verhindern, daß es ihn übermannte; er übergab sich schweißgebadet über die Zinne hinab.
    Aber das Bild der tanzenden Geier verließ ihn nicht; selbst durch die Tränenschleier in seiner Schwäche sah er sie, und sie kamen ihm vor wie Seelen, die sich von der Erde lösen wollen, die sich aber niemals von der Erde würden lösen können.
    Sie waren verflucht! Der neunzehnjährige Kätnerssohn und Musketier Jörg Grueber wußte es in diesem Moment ganz genau.
    ***
    Während sich dies auf der
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