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SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

SdG 06 - Der Krieg der Schwestern

Titel: SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Autoren: Steven Erikson
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Prolog
     
    Am Rande des Entstehenden, am 943sten Tag der Suche Im Jahre 1159 von Brands Schlaf
     
    G
    rau, aufgedunsen und narbenübersät lagen die Leichen entlang des salzverkrusteten Ufers, so weit das Auge reichte. Das verwesende Fleisch – wie Treibholz vom ansteigenden Wasser aufgetürmt, das an den Rändern wogte, sich hob und senkte – wimmelte von schwarz gepanzerten, zehnbeinigen Krabben. Die münzgroßen Kreaturen hatten gerade erst begonnen, sich über das mehr als reichhaltige Festmahl herzumachen, welches das Zerbrechen des Gewirrs vor ihnen ausgebreitet hatte.
    Das Meer spiegelte den Farbton des tief hängenden Himmels. Trübes, fleckiges Zinngrau oben und unten, nur unterbrochen vom dunkleren Grau des Schlicks und den schmierigen Ockertönen der dreißig Ruderschläge entfernt gelegenen, kaum sichtbaren Obergeschosse der Häuser einer überschwemmten Stadt. Die Stürme waren weitergezogen, die Wasser hatten sich inmitten der Trümmer einer ertrunkenen Welt beruhigt.
    Klein und untersetzt waren ihre Einwohner gewesen. Mit breiten, flächigen Gesichtszügen und langen blonden Haaren, die sie offen getragen hatten. Ihre Welt war kalt gewesen, das ließ sich aus ihrer dick wattierten Kleidung schließen. Aber mit dem Zerbrechen des Gewirrs hatte sich alles grundlegend geändert. Die Luft war schwül und feucht und roch jetzt faulig, nach Verfall und Verwesung.
    Das Meer war einst – in einer anderen Sphäre – ein Fluss gewesen, eine gewaltige, breite, sich wahrscheinlich über Kontinente erstreckende Arterie aus frischem Wasser, schwer mit dem Schlamm einer Ebene beladen, die dunklen Tiefen das Heim großer Welse und wagenradgroßer Spinnen, die Untiefen von Krabben und Fleisch fressenden, wurzellosen Pflanzen wimmelnd. Wie ein Sturzbach hatte sich der Fluss in diese weite, flache Landschaft ergossen. Tage, Wochen, Monate.
    Stürme, die durch den lebhaften Zusammenprall tropischer Luftströmungen mit dem hier herrschenden, gemäßigten Klima entstanden waren, hatten die Flut mit heulenden Winden vorangetrieben, und noch vor den unaufhaltsam steigenden Wassermassen kamen tödliche Seuchen und rafften diejenigen hinweg, die bis dahin noch nicht ertrunken waren.
    Irgendwie hatte der Riss sich irgendwann in der vergangenen Nacht wieder geschlossen. Der Fluss aus einer anderen Sphäre war in sein ursprüngliches Bett zurückgekehrt.
    Das Ufer vor ihm verdiente diese Bezeichnung eigentlich nicht, doch Trull Sengar fiel kein anderes Wort ein, als er daran entlanggezerrt wurde. Der Strand bestand nur aus Schlick und Schlamm, der vor einer riesigen Mauer aufgehäuft war, die sich von Horizont zu Horizont zu erstrecken schien. Die Mauer hatte der Flut widerstanden, auch wenn jetzt an der anderen Seite Wasser hinunterlief.
    Leichen zu Trulls Linken, ein jäher Absturz von sieben, vielleicht auch acht Mannslängen zu seiner Rechten, die Krone der Mauer selbst etwas weniger als dreißig Schritt breit; dass sie ein ganzes Meer zurückhielt, gemahnte an Zauberei. Die breiten, flachen Steine unter seinen Füßen waren schlammverschmiert, doch sie trockneten bereits in der Hitze; bräunliche Insekten tanzten auf ihrer Oberfläche und sprangen davon, wenn Trull Sengar und seine Häscher herankamen.
    Trull hatte immer noch Schwierigkeiten mit dieser Bezeichnung. Seine Häscher. Ein Wort, mit dem er kämpfte. Schließlich waren sie seine Brüder. Seine Verwandten. Gesichter, die er sein ganzes Leben lang gekannt hatte, Gesichter, die er hatte lächeln und lachen sehen, Gesichter, in denen er – manchmal – seinen eigenen Kummer wie in einem Spiegel gesehen hatte. Er hatte immer an ihrer Seite gestanden, hatte alles miterlebt – die ruhmreichen Triumphe ebenso wie die seelenzerreißenden Verluste.
    Häscher.
    Jetzt gab es kein Lächeln. Kein Lachen. Die Gesichter derjenigen, die ihn hielten, waren kalt und starr.
    So weit ist es mit uns gekommen.
    Der Marsch endete. Hände stießen Trull Sengar zu Boden, ohne auf seine blauen Flecken zu achten, auf die Schnittwunden und Abschürfungen, aus denen immer noch Blut troff. Aus einem unbekannten Grund waren von den Bewohnern dieser Welt schwere eiserne Ringe in die Mauerkrone eingelassen und fest im Herzen der gewaltigen Steinblöcke verankert worden. Die Ringe zogen sich in gleichmäßigen Abständen – etwa alle fünfzehn Schritt – über die gesamte Länge der Mauer, so weit Trull sehen konnte.
    Jetzt bekamen diese Ringe eine neue Aufgabe.
    Ketten wurden um Trull
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