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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Höschen, Strümpfe, Schuhe und Kleid an und kann es noch immer nicht glauben. So schnell also geht das. Wenn ich je ein Kind haben sollte, wird es nie mein erstes sein. Das liegt in einem Eimer. Ein glasiges Klümpchen, ein paar Tropfen Blut auf Zellstoff.
     
    Die vielen Stufen hinauf, da ist ein Lift, aber er hat eine Tür, und ich kann keine Türen mehr öffnen, nur noch den einen Knopf drücken, und wenn die Tür aufgeht, schreie ich einfach Hilfe. Das muß so einer gewohnt sein, daß ihm Leute einfach in die Ordination fallen und irgend etwas schreien. Aber ich grüße, als der Mann in der Tür steht, so ein kleiner Mann mit runden Brillen, was wird der helfen können. Er verbarrikadiert sich gleich hinter einem riesigen Tisch. Was kann ich für Sie tun? Also, der Mann, den ich liebe, hat mein Kind umgebracht, mit einem Mann, den ich nicht ausstehen kann, bin ich verheiratet, der hat meinen Hund eingeschläfert, und ich will nicht mehr leben, weil ich mich selbst nicht mehr ausstehen kann, das Kribbeln unterm Kopf, wie Käfer zwischen Schädeldecke und Hirnhaut, und morgens wache ich auf, weil mein Herz unter einer Klaue zuckt, tagsüber möchte ich am liebsten irgendwo unter einem Teppich liegen, nachts wünsche ich mir nichts sehnlicher als einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen, und ich schlafe so tief, daß ich erschrecke, wenn ich plötzlich wieder da bin, weil das Herz so zuckt, und ich schwitze, sehen Sie, ich transpiriere, mein Vater ist Arzt, er hat mir aufgetragen, immer Transpiration zu sagen und statt Eiter Sekretion, bitte helfen Sie mir.
    Der kleine Mann sagt, daß ich die Symptome einer neurovegetativen Störung habe. Es gibt ein Medikament, davon nehmen Sie eine Pille nach dem Frühstück und eine nach dem Mittagessen. Vorsicht mit Alkohol. Wenn das nach einigen Tagen keine Wirkung zeigt, kommen Sie wieder. Macht fünfhundert Schilling. Wenn Sie keine Honorarnote brauchen, verrechne ich Ihnen nur dreihundert Schilling. Beim nächstenmal und wenn Sie regelmäßig kommen, vielleicht zu einer Gesprächstherapie, kostet es entsprechend weniger. Der kleine Mann steht auf und begleitet mich in ein anderes Zimmer. Er gibt mir die Hand und drückt zu. Er will, daß ich die Hand wieder loslasse. Das ist eine Regel, Nehmen, Loslassen, was man alles tut mit seinen Händen. Er dankt und schiebt mich hinaus.
     
    Bahnhöfe, Bahnhöfe mögen die Leute nicht, feuchtkalte, klebrige Bahnhöfe, mit Gleisen, die man nicht überschreitet, weil nur die Bahnhofsversicherten darüber dürfen, das Leben, es ist eben so, meine Schwiegermutter strickt es in graue Wollsachen, das ganze Leben, das Leben ist ein kürzeres oder längeres Warten, unterbrochen von Vertröstungen und größeren und kleineren Barauszahlungen, der Schaffner kommt, er interessiert sich nur für meine Fahrkarte, das Leben ist viel zu lang, als daß man es, das Leben ist kurz, meine Liebe, man soll alles nicht ernster nehmen, als es ist, du nimmst alles viel zu leicht, jemand liest hier eine Zeitung. Irgendwo kämpfen die Türken gegen die Griechen, helft den Griechen gegen die Türken, helft den Libanesen gegen die Libanesen, litt an Depressionen, steht dann in der Zeitung. Mutter von vier Kindern hat eine Sprengkapsel im Mund zerbissen, Föhnwelle bringt siebenundzwanzig Selbstmorde, etwas tun, du mußt jetzt endlich etwas tun, tu jemandem weh, aber tu etwas, such dir eine Religion aus, eine Partei, lies dieses gute Buch, schau zum Fenster hinaus. Der Zug fährt an Kühen vorbei, Kühe wird es täglich geben, obwohl wir täglich ihr Fleisch fressen, die Spinne frißt ihr Männchen nach dem Koitus, der Mensch ist Gottes Ebenbild, hab keine Angst, solange es Menschen gibt, Angst mußt du haben, solange es Menschen gibt, wie war es denn, fragt Rolf, der pünktlich auf dem Bahnsteig steht. Teuer, sage ich. Ja, das hat er gewußt, daß psychiatrische Behandlung teuer ist. Wie fühlst du dich? Gut. Meiner Ansicht nach brauchst du keinen Psychiater, sagt Rolf, sondern einfach mehr Willensstärke. Du läßt dich gehen, und du tust dir selbst viel zu leid. Ja, sage ich, und übermorgen ist Sonntag. Übermorgen müssen wir meine Mutter besuchen, sagt Rolf. Übermorgen werden die Menschen die Häuser verlassen, um sich ein wenig auszulüften. In Sonntagskleidern. Sonntags schreiten die, die sonst laufen. Jeder hat seine Art, sich fortzubewegen. Man erkennt jeden Menschen an seinem Gang. Rolf sagt, ich hebe die Füße nicht. Albert geht immer mit geducktem
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