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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Flugzeugabsturz gemeldet wird, muß Mutter weinen. Und bei Nachrichten aus der Sahelzone oder aus Indien, besonders wenn Fotos gezeigt werden, und bei alten Filmen mit O. W. Fischer und Ruth Leuwerik, und bei Erdbeben. Seit es Papiertaschentücher gibt, kann man zu allen Gelegenheiten ausgiebiger weinen.
    Alle vier Türen sind offen, Vater steht neben dem Auto. Warum drängt ihr alle da hinein? Es ist überall offen! Aber hör schon auf, sagt Mutter. Laß uns doch einsteigen, wie wir wollen, sagt Großmutter. Sie soll vorne sitzen. Wer? Du? Oder soll ich mich neben Vater setzen, fragt Mutter. Ruhe, bittet Vater, ich fahre jetzt! Langsam wird es mir zu dumm. Immer streiten, brummt Großmutter, das hab ich gern! Wirklich, es ist zum Verzweifeln, flüstert Mutter. Ruhe, sagt Vater, und du schnall dich an! Paß auf das Kleid auf, sagt Großmutter. Sie gibt nie acht! Sie ist burschikos! So sitzt keine Dame.
     
     
    Liebster Rolf, sagte ich, ich will nicht mehr! Er tat es mit einer Handbewegung ab. Das ist nur die Angst vorm kalten Wasser. Spring hinein! Ich sagte, daß ich plötzlich mutlos geworden sei. Da kam er mit anderen Wörtern und baute eine fensterlose Mauer. Alles war schließlich vorbereitet. Wir würden uns lächerlich machen. Ich sollte mehr Vertrauen zu ihm haben, das hätte ich doch bisher gehabt. Später würden wir gemeinsam darüber lachen. Du verstehst mich nicht, sagte ich. Wie willst du, daß man dich verstehen soll, wenn du dich selbst nicht verstehst? Wer wirklich frei ist, sagte er, wird sich auch durch äußere Formen nicht beengt fühlen. Wir sind keine Landstreicher, wir sind keine Zigeuner, sagte er. Ich kann es mir beruflich und gesellschaftlich nicht leisten, auf jede deiner Launen einzugehen. Sag nein, ich werde es akzeptieren. Ja oder nein? Wenn du nein sagst, werde ich die Konsequenzen ziehen, aber du weißt: Ich pflege bei dem zu bleiben, was ich mir vornehme.
     
    Ja, das weiß ich. Nach dem ersten Semester an der Technischen Hochschule merkte Rolf, daß Medizin ihn eigentlich mehr interessierte. Aber: Was einmal begonnen ist, muß durchgehalten werden. Wenn ich ihm gestand, daß ich schon wieder etwas Neues inskribiert hatte, tröstete er mich mit Umarmungen. Ich war nichts, aber ihm galt ich viel. Ich taugte nichts. Ihm taugte ich viel. Er sagte: Du bist die einzige Frau, die mich nicht langweilt. Ich wußte nicht, was ich ohne Rolf getan hätte. Das brauchst du nicht zu wissen, sagte er, denn du hast ja mich. Wir lieben uns. Ist das nichts? Was finge er mit einer Frau an, die keinen Ehrgeiz hat? Ich habe genug Ehrgeiz für uns beide. Das stimmte. An einem trüben Dienstag wurde im Festsaal der Hochschule Rolfs Sponsion und Promotion gefeiert. Er lud Freunde ein, sich das anzusehen. Ich tippte die Adressen auf die Kuverts. Wenigstens Maschineschreiben hättest du lernen können, sagte Rolf. Ich fuhr damals allein, weil ich über all das und auch übers Maschineschreiben nachdenken mußte. Rolf fuhr voraus und bat mich, pünktlich zu sein. Heute will ich alles gut machen, ab heute, dachte ich an dem Dienstag ohne Licht, nur mit Ehrgeiz kommt man voran, schwor ich mir. Ich hatte die Mädchen auf der Uni immer bewundert wegen ihrer vom Sitzen und Büffeln ausgebuchteten Röcke, die Ungepflegten, die keine Zeit hatten für Firlefanz.
     
    Im Autobus, der zu Rolfs Ziel führte, blickten die Menschen sehr ernst. Auch der Chauffeur. Eine alte Frau fragte ihn, ob das der richtige Bus sei. Der Chauffeur nickte. Er startete den Motor in dem Bewußtsein, daß es seine Pflicht war, alle Passagiere zur heutigen Sponsion und Promotion zu führen. Er hatte sich geopfert, hatte auf Matura und akademisches Studium verzichtet, um Leute zur Hochschule zu chauffieren. Er ließ mich mitfahren, weil ich eine Fahrkarte besaß. Aber etwas wie Vorwurf las ich in seinen Augen: Sie hatten doch eine Chance, und Sie haben nichts gemacht aus der Chance! Die alte Frau, die ihn gefragt hatte, ob das der Bus zur Hochschule sei, zog einen handgeschriebenen Brief aus der Tasche. Sie faltete ihn auseinander und las. Der Neffe teilte gewiß mit, daß er heute um elf promoviert würde. Oder vielleicht war es der Enkel. Oder nur der Student, der in einem ihrer leerstehenden Zimmer gewohnt hatte und sich an die Zimmerfrau erinnert und sie eingeladen hatte. Neben der alten Frau saß eine junge Lehrerin. Das sah ich gleich, daß die Blonde Lehrerin war. Die Frau fragte die Lehrerin, ob man beim Betreten des Festsaales der
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