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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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sie nachher nicht findet, und dann sagt sie einfach, sie hat sie verloren.
    Rolfs Mutter wird bei Rolf einziehen, weil es viel zu putzen und in Ordnung zu bringen gibt. Sie hat meine Bücher aus den Regalen geholt, meine Kochwerkzeuge von den Kochwerkzeugen getrennt, die sie selbst ihrem Sohn in die Ehe mitgegeben hat, sie hat die Geschirrtücher, die Mutter mir kaufte, von den Geschirrtüchern, die sie gekauft hat, ebenfalls getrennt. Im Schlafzimmer sind die Vorhänge weg, die anderen hängen jetzt dort, die Vorhänge, denen Mutter mit ihren Vorhängen zuvorgekommen ist. Warum ist sie so böse auf mich? Rolf sagt, weil seine Mutter ihn liebt und es nicht ertragen kann, wenn ihrem Sohn Unrecht geschieht. Ich bin jetzt bei meinen Eltern zu Besuch. Sie haben mir mein altes Zimmer geliehen, und in einigen Wochen werde ich etwas arbeiten. Etwas Weibliches, aber doch etwas, wofür meine Eltern sich nicht schämen müssen. Großmutter weint, als sie Rolf hinter der Glastür stehen sieht. Er weiß nicht, ob er sie noch duzen soll. Sie weiß es auch nicht. Er bringt ein kleines Paket und entschuldigt sich, daß er es erst heute bringt. Es ist erst jetzt in der Putzerei wieder aufgetaucht. Was denn? Dein Nachthemd. Ich will mein Nachthemd nicht zurückhaben. So gut arbeitet keine Putzerei, daß ich dieses Hemd noch einmal tragen könnte. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, wer will das Nachthemd. Er hält es in der Hand wie ein Stück tote Haut.
     
     
    Unser Kind, schrieb Mutter auf die Albumpappe. Auf der ersten Fotografie ein lachendes Baby, darunter mein Taufname mit Rufzeichen. Und ein lachendes kleines Mädchen, ich erinnere mich an eine Stimme, die mir versprach: Wenn du lachst, bekommst du ein Eis. An das Eis erinnere ich mich nicht. Vielleicht war es nur ein Trick. Die Sonne blendet mich, wenn ich in dem Wasserschaff sitze, und ich friere, weil immer wieder Wolken zwischen Sonne und Balkon herumfliegen. Mutter schreibt, daß die Badewanne im Juni etwas Herrliches ist. Ein Bündel durchhängender Windeln, darin steckt ein Kind, und Mutter hat geschrieben, daß diese Überraschung für Papa einmalig gelungen ist. Dann beginnt das Mädchen mir ähnlich zu sehen. Geweihte Kerze, weiße Hängetasche, weißes Kleid. Die Erstkommunion. Ich weiß noch, wie unangenehm die Oblaten am Gaumen klebten. Man durfte sie nicht beißen, da steckte ja der Liebe Jesus drin, also rollte ich sie vorsichtig mit der Zunge ab. Auch hatte ich nicht alles gebeichtet, und meine Seele war schwarz, ich war die einzige Erstkommunikantin der Welt, die nicht alles gebeichtet hatte. Ich fürchtete Gott, während alle anderen Kinder ihn liebten. Mutter schämte sich, wenn ich im Kinderwagen schrie. Das Wort Langeweile konnte ich noch nicht aussprechen, weil ich es nicht kannte, und sie begriff nicht, daß es mich langweilte, im Kinderwagen zu sitzen. Sie malten mein Gesicht mit Eidotter an und steckten Stricknadeln mit Holzkugeln in meine neue Frisur. Wie lustig war dieser Kinderball, schreibt Mutter im Album. Dieses Foto kommt morgen in die Zeitung, sagte Vater, und ich stellte mich rasch neben ihn, Füße zusammen, stillhalten neben Vater, aufgeregt und beschämt über so viel Glück. Mit Vater, und in die Zeitung! Aber er wollte nur, daß ich mich ohne Widerspruch fotografieren ließ, und das Bild klebt im Album. Alles Trick.
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