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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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habe. Du hast ja nicht geblutet. Du glaubst, ich lüge? Wer sich selbst belügt, so wie du, belügt automatisch die Menschen, mit denen er lebt. Gute Nacht!
    Es war so aufregend. Als er fragte, ob ich ihn heiraten würde, da dachte ich: Das Leben beginnt. Wem ein Heiratsantrag gemacht wird, der gehört endgültig dazu. Ich wollte ja immer dazugehören. Schon im Kindergarten. Aber ich gehörte nie dazu. Sie waren alle gegen mich. Ich dachte: Ich gehe in den Kindergarten, aber ich muß froh sein, daß ich zumindest so tun darf, als gehörte ich dazu. Das verstärkte sich. Besonders auf der Uni. Und da traf ich einmal den Karl, kurz bevor er das Germanistikstudium aufgab, und er sagte: Ich habe so oft das Gefühl, ich gehöre nirgends dazu. Mit so einem, der draußen stand, wollte ich nichts zu tun haben. Weil Rolf mich liebte, gehörte ich dazu. Dann gehörte ich aber zum zitronengelben Kleid. Und zu Albert. Ich wecke Rolf, um ihm zu sagen, was Karl mir gesagt hat über Verantwortlichkeit. Daß man für sich selbst verantwortlich sein muß. Rolf nimmt die Tuchent und legt sich ins Wohnzimmer. Oder hat Albert das gesagt? Es wird hell draußen.
     
    Ich habe Rolf gefragt, ob ich ihn verlassen darf und dann zu ihm zurückkommen. Nein. Warum nicht? Weil er kein Spielzeug ist. Und habe so viel gefragt, daß er sagte: Fehlt gerade noch, daß du fragst, ob ich an ein ewiges Leben glaube und an den Nachlaß der Sünden. Glaubst du daran, fragte ich, da fühlte er sich gehänselt. Man muß vieles mitschlucken, sagte er, als ihn die Technik nicht mehr interessierte. Ich bewunderte das, obwohl er an Gastritis litt und nicht ich. Ich glaube, Rolf, daß ich immer das Falsche bewundert habe. Seit wann weißt du, was falsch ist? Du sagst doch immer, du kannst dich für nichts entscheiden, weil alles falsch und zugleich richtig ist! Aber ich glaube, das Runterschlucken ist falsch. Und weil du immer schluckst, ist vielleicht auch deine Arbeit falsch. Was hat das mit meiner Arbeit zu tun? Weil du ja nicht weißt, wohin der ganze Apparat fährt, in dem du ein Rädchen bist. Du weißt ja auch nicht, sagt Rolf, was du bewirkst durch deine täglichen Taten, Blicke, Unterlassungen. Ja, und das quält mich!
     
    Ihn quält es nicht länger, und er will, daß wir das legalisieren. Der Richter nennt mich auf einem Papier Beklagte Partei. Rolf heißt Klagende Partei. Eine einvernehmliche Scheidung hätte bedeutet, daß Rolf, der immer weiß, was er tut und welche Folgen das haben wird, zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht wußte, was er tat. Also nehme ich die Schuld auf mich. Ob ich etwas vorzubringen habe. Nein, ich gebe alles zu. Der Richter hat eine Narbe quer über die Stirn. Sie leuchtet, wenn er mich anschaut. Was möchte er hören? Pornographie? Sicher werden Ehescheidungen mit der Zeit langweilig. Pikante Geschichten, die man dann in der Gerichtskantine erzählen kann, sind erwünscht. Ob ich also den Geschlechtsverkehr mit der Person entgegengesetzten Geschlechts, die mit mir nicht verheiratet ist, vollzogen habe. Ja. Wie oft? Einmal genügt, denke ich. Aber so einfach ist das nicht. Wenn Rolf nämlich nachher ebenfalls mit einer Person des entgegengesetzten Geschlechts den Geschlechtsverkehr vollzogen hat, dann gilt mein einmaliger Ehebruch nicht mehr. Und es gibt keine Schuld. Dann werden wir nicht geschieden. Ich habe also mehrere Male verkehrt. Warum? Sie unartiges Kind, erzählen Sie doch genauer, sehen Sie nicht, daß ich alles wissen muß, um Sie ordentlich scheiden zu können? Ich gebe doch alles zu, aber ich erzähle keine Details. Außerdem habe ich nicht mitgezählt und führe darüber nicht Buch, weil ich schlampig bin, mein Mann wird Ihnen das bestätigen.
    Rolf ist sehr blaß. Gereift. Wie am Hochzeitstag. Sag ihm doch, er soll mich in Ruhe lassen! Aber Rolf bewahrt immer Haltung vor fremden Leuten. Später wird er die Geschichte seiner Ehe in verschiedenen Versionen erzählen. Immer das, was die jeweilige Frau gerade hören will. Bis er die Richtige gefunden hat. Die, die das am liebsten hört, was er am liebsten erzählt.
    Ich habe also mit Albert geschlafen, sooft ich wollte. Das heißt, sooft er konnte. Zeit hatte, meine ich. Beklagte Partei wird übermütig. Die Narbe leuchtet. Beklagte Partei ist sichtlich unreif gewesen für die Ehe und daher auch für eine anständige Scheidung. Paragraph siebenundvierzig besagt, daß ein Ehegatte die Scheidung begehren kann, wenn der andere die Ehe gebrochen hat. Absatz zwei
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