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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Kopf. Rolf macht lange Schritte. Er überholt und flucht. Fahr schneller, Trottel. Ja, fahr bitte schnell, schneller, vielleicht schmilzt etwas in der Flugkraft, vielleicht lötet uns etwas zusammen, oder zerdrück mir den Schädel, wenn wir zu Hause sind, wenn wir schon nicht reden können miteinander, rede mit den Käfern, sag, sie sollen aufhören, ich hab meine Lektion gehabt, und ich bin aufs Maul gefallen, so wie du es dir gewünscht hast, du wolltest das doch sehen, was ich tue, wenn ich einmal die erste Ohrfeige vom Leben einstecke. Der Wagen hat einen Fehler, sagt Rolf, die Scheibenwischer machen zuviel Lärm.
     
     
    Mutter will nicht, daß ich ihnen das antue. Wie stehen sie jetzt da, das Gerede in der Kleinstadt, und ob ich mir das auch gut überlege. Die Leute sind schadenfroh. Dein Vater würde sich zu Tode kränken. Rolf gehört zur Familie, und in jeder Ehe gibt es Schwierigkeiten. Einen Psychiater bezahlen, das ist nicht nur ein finanzielles Problem, sondern ein spezielles. Du kannst nicht zweimal wöchentlich nach Wien fahren, das siehst du doch ein. Und wenn du in Linz psychiatriert wirst, würde es bald durchsickern. Rolf ist eine Persönlichkeit in Linz. Außerdem kostet es Geld, und die Psychiater haben doch selber alle einen Vogel.
    Mutter sagt, ich soll Vater nicht belasten, und warum wir nicht endlich ein Kind bekommen, Rolf und ich, ein Kind würde dich ablenken. Mein Vater sitzt im Wohnzimmer über seinen Landkarten. Jedes Jahr, wenn der Sommer droht, zeichnet er Fluglinien ein, die er aus dem Prospekt abliest, den Rolf ihm geschenkt hat, auch das Lineal ist von Rolf. Vater stellt sich Flüge vor, Peking, Moskau, alles auf der Landkarte und möglich, eine reine Geldfrage. Der Traum ist käuflich geworden. Ich darf diesen Traum doch nicht unterbrechen und ihm sagen, daß ich seine Hilfe brauche. Bitte sag nichts, hat Mutter gefleht. Sie fürchtet, daß er vor Ärger dieses Jahr wieder den ganzen Sommer zu Hause bleiben wird. Ach so, sagt er, ach so, und wird ganz bleich und alt, seine Wangen sind auf einmal so dünn, ach, so ist das, sagt er. Dann holt er meine Mutter. Immer gehen sie ins Schlafzimmer, wenn sie etwas Ernstes zu besprechen haben.
    Vater sagt Mutter, was er über mich denkt, sie sagt mir, was Vater gesagt hat, die Großmutter kommt und will ins Schlafzimmer, immer will sie hinein, wenn jemand heiratet, wenn jemand stirbt, da wird immer im Schlafzimmer besprochen, was sie anziehen, ja, was werden sie jetzt anziehen? Warum geht eigentlich nie die Familie zur Scheidung mit? Ich höre Mutter schluchzen. Jetzt hat er es ihr gegeben. Großmutter steckt den Kopf zur Tür heraus, und man sieht, daß sie sich nicht auskennt. Mutter weint und läßt sich nicht beruhigen. Jetzt hat sie eine gute Gelegenheit, erlaubte und verbotene Tränen loszuwerden. Vater erklärt Großmutter, was vorgefallen ist, und jetzt sagt sie, sie hat immer gewußt: Dieses Kind hätte man im Pensionat erziehen sollen.
     
    Rolf und mein Vater duzen einander noch. Sie bleiben wahrscheinlich verbündet. Soll ich jetzt mit Rolf in unsere Wohnung zurückgehen? Soll ich hierbleiben? Wohin gehöre ich? Rolf nimmt aber meinen Mantel und seinen Mantel. Vielleicht nimmt er meinen Mantel, weil er ihn gekauft hat. Er wird auf alle Fälle die Aussteuer zurückzahlen müssen. Vielleicht haben sie darüber gesprochen, wie sie das Geld in monatlichen Beträgen überweisen lassen. Großmutter hat angedeutet, daß sie das nicht überleben wird. Aber der Bürgermeister grüßt uns, die Trafikantin grüßt uns noch, weil sie nichts wissen, man merkt mir ja nicht an, wie ich bin, wie ich alles zerstört habe. Warum bin ich eigentlich so, nicht heulen auf der Straße, mach keine Szenen, und in der Wohnung stehen die Möbel, als wäre nichts gewesen, noch meine Küche, mein Balkon, wenn ich will, mein, unser Bett, mein, unser Fußboden, hier darf ich bleiben, wenn ich will, er ist gut zu mir, er weiß, wie ich bin, unsere Lampenschirme, unser Farbfernsehapparat, wenn ich brav bin und guten Willens, jetzt heule ich endlich, die Großmutter sollte das sehen, denn zu Hause hat sie meine Mutter angeschaut, sich über die Schürze gestrichen und auf mich geschaut: Da, sie weint, und du?
    Rolf ist erschöpft. Ich habe ihn ausgelaugt in dieser Ehe. Er legt sich auf die Betthälfte, auf die er sich immer legt, weil das seine Betthälfte ist. Er liegt links und hat nie gefragt, ob wir nicht einmal tauschen wollen. Er sieht keinen Anlaß,
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