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Glaenzende Geschaefte

Glaenzende Geschaefte

Titel: Glaenzende Geschaefte
Autoren: Katharina Muenk
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DIE TRAINIERTE SEELE
    Wenn Massagen nichts für ihn seien, dann solle er eben fechten, hatte man ihm gesagt. Ganz, wie er wolle. So könne er sich schon mal ein wenig die Perspektiven freischlagen, locker werden. Löhring streifte also die Maske über. Er zog aus der Grundstellung heraus seine Waffe, führte sie zum imaginären Gegner und dann zurück mit der Klingenspitze nach oben. Kein Kampf ohne Begrüßung des Gegners. Also dann. Er begann zu tänzeln, flink und überlegt, wie er nun einmal war, im richtigen Abstand, auf Zeitpunkt und Tempo bedacht und vor allem lautlos. Dann Kurzpräsentation der Florettpositionen, ohne hektisches Gerassel. Und noch einmal, schneller dieses Mal und in alle Richtungen. Löhring drehte sich um die eigene Achse, schnitt die Luft in Einzelteile, als wolle er um sich herum ein Vakuum erkämpfen. Niemand hätte ihm jetzt vor die Klinge kommen dürfen.
    Ihm wurde bald heiß unter dem Kopfschutz. Kleine Schweißperlen bahnten sich ihren Weg nach unten, durch die kleinsten Ritzen und schneller da, wo der Kopf keinen direkten Kontakt zur Maske hatte, bis sie an der dünnen Haut am Hals entlangtropften und kitzelten. Es fühlte sich nach Verausgabung an, aber auf eine sehr elegante Weise. Der Gesichtsschutz mit den feinen Gitterchen verbarg jeden unsouveränen Anflug in der Mimik, gab ihm etwas Geheimnisvolles, etwas Insektenhaftes, fand er. Er stach weiter zu. Er hatte alle Zeit der Welt. Luxus. Das Gespräch mit seinem Coach würde erst in zwei Stunden beginnen.
    Der Trainingsraum ging nach Südosten hinaus, und die Morgensonne schien nur ganz dezent durch die feinen hölzernen Lamellen.Man sah kein einziges Staubpartikelchen auf dem Wengeholz-Parkett, hörte nur das schrille Quietschen von Löhrings Hallenschuhen, die ihn mehr ausbremsten, als ihm lieb war. Doch wer kämpfte schon auf Socken? Der Raum war um diese Uhrzeit in einem fast jungfräulichen Zustand, wenn man einmal von seiner Person absah. Und um hundertprozentig sicherzustellen, dass er allein und ungestört blieb, hatte er auf den Hotelbriefbogen, der auf jedem Zimmer lag, »Parkettversiegelung« geschrieben und ihn außen an die Tür geklebt.
    Löhring war klar, dass sein Training normalerweise durch geschultes Personal beaufsichtigt werden musste, durch Fachkräfte, die sich in der Fechtkunst und beim Menschen per se auskannten und gegebenenfalls verhindern sollten, dass sich Geburnoutete in die Klinge fallen ließen oder aufeinander losgingen. Doch Löhring war sich selbst genug, stand hier und jetzt in vollem Lebenssaft. Und nie und nimmer hätte er die Beinarbeit ohne Waffe geübt – was nützte die raffinierteste Strategie, der exakteste Angriffspunkt, wenn am Ende die Klinge fehlte? Das wäre nur der halbe Spaß und so, als würde er ohne Visitenkarte ins Akquisegespräch gehen. Nein, schließlich hatte er bereits auf die weiße Weste verzichten müssen, bestritt das Training in anthrazitfarbenem Sportanzug mit Streifen.
    Löhring ging erst einmal so geschmeidig wie möglich auf die Stoßpuppe los – ein weiß bespanntes Kautschukkonstrukt in Körpergröße mit kleinen Stummelchen für Arme und Beine. Sie ließ es gleichmütig über sich ergehen, knautschte nur dann und wann ein wenig zusammen. Sie war ihm nicht unähnlich, fand er, ein probater Gegner, stabil und doch flexibel, unverwundbar nach außen hin, allerdings mehr defensiv als aggressiv. Also drauf, immer drauf. Und noch einmal die Armpositionen. Löhring fühlte sich ein in die Puppe, so gut es ging, nahm sie als Gegner an, begann zu spielen, forderte sein Angriffsrecht: Sixt, Quart, Oktav – er stach stärker zu. Nix mit locker. Doch selbst beim Katapultangriff nach vorne, Klinge in Linie, aus einem kurzen Ausfallschritt heraus, verzog die Puppe keine Miene.
    Löhring ließ von ihr ab und strich mit dem Daumen über die Blutrinne seiner Waffe, holte tief Luft und begann von vorn. Er pustete durch die Maske, atmete dabei die eigene heiße Luft wieder ein, und es pocherte tierisch in den Schläfen. Nicht aufgeben, jetzt nur nicht aufgeben. Löhring sprang wieder nach vorn und versetzte dem Gestell den finalen Stoß. Die Klinge bog sich gegen den Kautschuk, und er versuchte weiterzubohren. Wer hatte sich bloß diese Scheißpuppen ausgedacht? Es könnte ja wenigstens ein weißes Fähnchen aus einem der Ärmchen kommen oder etwas rote Farbe aus den Gummiporen. Da hatten es die Typen auf den kühlen, nebligen Lichtungen morgens um fünf leichter – mit
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