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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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außer, ich liege vielleicht schlecht. Nein, nur so. Laß mich einmal auf deiner Hälfte liegen. Warum? Ich will es probieren. Wozu? Er versteht es nicht, nimmt die Fachzeitung und hat unsere Zukunft aufgeblättert vor sich, wenn ich nur vernünftig bin und mich besinne. Ist es nicht ein Wahnsinn, dieses Paradies zu verlassen, nur weil der Mann hier mich langweilt? Seine heuchlerischen Spaziergänge. Er wollte nie hinaus, aber er hat mich in letzter Zeit immer begleitet, um es allen zu zeigen. Er hat nie Lust verspürt, sich noch einmal mit mir auf die löchrige Bank hinter dem Kloster der Marienbrüder zu setzen, unter den Baum, wo er vor tausend Jahren Pläne geschmiedet hat für den nassen Kuß und alle weitere Zukunft, er hat das doch alles vergessen, wenn er es wenigstens zugäbe, aber jedesmal, wenn wir in den letzten Tagen an der Bank vorbeigingen, sagte er unsere Bank. Weil er wußte, daß ich das dachte, sagte er es, um mir zu beweisen, daß er immer weiß, was ich denke, und Albert wird eines Tages sagen unser Waldrand.
     
     
    Als er noch keinen akademischen Titel hatte, führten wir noch Gespräche. Ob es etwas gäbe, das jeder Mensch habe, ganz gleichgültig wer. Da ließ er sich noch ein auf solche Spiele: Jeder Mensch hat Augen. Nicht jeder. Gut. Jeder Mensch hat Haare. Nicht jeder. Es gibt welche, die haben nirgends Haare, am ganzen Körper nicht, weil sie krank sind! Gut. Und jeder Mensch hat ein Herz. Nein, es gibt schon künstliche Herzen. Oder nicht? Warum fragst du so viel? Weil ich etwas finden will, was jeder Mensch hat. Etwas, was uns alle verbindet. Uns gleichmacht. Politisch? Nein, ganz allgemein. Menschlich! Jeder Mensch, jeder Mensch, jeder hat ein Hirn. Jetzt haben wir es. Hirn und Hirn, ist das dasselbe? Doch, mit Nuancen. Aber ich frage mich manchmal, ob wir nicht verschiedene Hirne haben, ob wir uns nicht nur einbilden, alle das gleiche zu sehen, die Farben zum Beispiel, wie denkt einer, der rotgrünblind ist? Riechen wir alle den gleichen Geruch? Das habe ich mich früher auch gefragt, sagt Rolf, und ich habe beschlossen, davon auszugehen, daß wir alle das gleiche sehen und riechen und so weiter und gute Nacht. Aber ich gehe oft davon aus, Rolf, daß es das Universum gar nicht gibt und die Menschen auch nicht, daß ich mir das alles nur einbilde. Das ist nichts Neues, das haben schon andere vor dir gesagt. Wirklich? Wer? Mit denen möchte ich einmal zusammenkommen. Sei nicht bös, sagte er, aber ich will jetzt schlafen.
    Seit wir verheiratet sind, sagt er immer: Ich muß. Noch etwas, Rolf, gestern habe ich beim Geschirrabtrocknen ein wichtiges Gesicht gemacht, ich habe also vor mir selbst so getan, als täte ich etwas ganz Wichtiges, und auf einmal bin ich mir tatsächlich wichtig geworden, und das Geschirrabtrocknen erschien mir das Wichtigste von der Welt!
     
     
    Wenn er schläft, weil er muß, schmiege ich mich an ihn, weil mir solche Angst kommt vor den Nächten, in denen ich allein liegen werde. Eine Puppe aus Stoff werde ich mir nähen, mit ganz langen Armen, in die ich mich einwickeln kann. Warum ich ihn verlassen will, wo ich doch zugebe, daß ich ihn brauche, würde er fragen. Weil ich muß. Wer sagt das? Ich. Und der Karl hat es auch gesagt. Wenn es der Karl sagt, wird es wohl stimmen. Wird der Karl dann auch für dich sorgen? Nein, er ist der Ansicht, daß jeder für sich selbst sorgen muß. Der Karl schrieb das von den Wegen und von der Reise.
    Ich wecke Rolf, um es ihm zu sagen: Man macht sich auf den Weg, und es ist die Reise dorthin. Die anderen, deren Wege beschriftet und deren Straßen gepflastert sind, rufen dir zu, daß du in die Irre gehst. Du aber weißt den Namen des Ortes nicht, und du weißt, daß keiner dort auf dich wartet, nur du. Ja, in Kalksburg, gähnt Rolf. Der Karl sagt, ich bin wahrscheinlich eine Künstlernatur. Ohne Kunst? Der Karl sagt nämlich, es gibt Künstlernaturen, die in ihrem ganzen Leben kein Kunstwerk schaffen. Da hat der Karl aber etwas Wahres gesagt! Und du möchtest so sein wie er? Nein. Du siehst also, wie es ihm ergangen ist mit Freisein und Anderssein? Der Karl sagt, schlaf jetzt, sagt Rolf, aber ich verstehe doch alles, ich muß trotzdem ausruhen, morgen holen wir ja meine Mutter ab und bringen sie zum Bahnhof. Weißt du noch, Rolf, als sie das erste Mal nach Abbano fuhr und ihre Kur gegen Rheuma machte? Sie ist wahrscheinlich gerade im Schlamm gelegen, wie du mich entjungfert hast. Wer weiß, sagt er, ob ich dich entjungfert
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