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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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manchmal wie eine Hausbesorgerin. Weil ich wissen wollte, wer da über unserer Wohnung auf und ab ging in der Nacht. Wer da oben auch nicht schlafen konnte. Das geht dich nichts an, sagte Rolf, sei nicht neugierig wie eine Hausbesorgerin. Ob ich Blähungen habe, wollte der Internist wissen. Ja, nein. Was meinte er? Ob ich Bauchschmerzen habe. Nein, eben nicht. Aber das Herz. Und die Übelkeit jeden Morgen beim Aufwachen. Das Herz tut weh bis zum Arm. Vom Rauchen? Oder Sie sind schwanger, sagte er. Wenn wir die Befunde haben oder Sie inzwischen die Monatsblutungen kriegen, dann ist alles klar. Klar. Das hat er wirklich gesagt. Klar. Und die Frau hinterm Vorhang weiß nicht, daß sie sterben muß. Das sagt man ihr nicht, weil es keinen Sinn hat. Sie glaubt, sie ist fast gesund.
     
     
    Bitte denk nach, sagt Rolf. Analysier dich selbst. Das zitronengelbe Kleid fällt mir ein, immer wieder, und ich kann an nichts anderes denken. Worum ging es damals wirklich? Du hängst an Kleinigkeiten, würde er sagen, also tue ich, als ob ich nachdächte, aber ich denke an das Kleid. Du bist nachtragend, würde er sagen. Ja, das bin ich. Alles trage ich nach, alle Steine, über die er springt, sammle ich ein und trage sie nach, und das zitronengelbe Kleid kann es doch nicht sein. Mir scheint, du brütest etwas aus. Unzufrieden, weil du keine Arbeit hast? Er sagt: Ich habe gesagt, wenn du arbeiten willst, dann arbeite. Und wie war das mit dem Steuerberater? Du bist in sein Büro gegangen, hast den Brief nicht einmal zu Ende getippt, mitten im Diktat bist du wie eine Wahnsinnige aufgesprungen und hast erklärt, du willst lieber doch nichts arbeiten. Wer soll dich denn noch ernst nehmen? Zur Not lasse ich mir einreden, daß Zahlen dich nicht interessieren. Aber daß Zahlen einen deprimieren, daß man Schweißausbrüche bekommen kann beim Anblick von Zahlen, weil man sie nur abtippen und sich nichts darunter vorstellen kann? Du mußt dir doch nicht unter allem etwas vorstellen können! Als Bürohilfe hilft man eben dem Büro, fertig! Und in einem Steuerberatungsbüro schreibt man die Briefe, verdammt, die einem der Steuerberater diktiert! Er kennt sich schon aus, keine Sorge. Und ob man die Leute, die man mit lieber Herr oder sehr geehrter anredet, mag oder nicht, nicht ehrt oder nicht liebt, das ist doch zum Verrücktwerden, schreib die Briefe und Schluß! Wenn jeder so dächte wie du, also danke! Ja, sauf dich nur an. Aber kauf nicht diesen Fusel. Wir haben doch Beziehungen zur Atomenergiebehörde. Wenn ich in Wien anrufe, das mache ich von der VÖEST aus und kostet keinen Groschen, besorgt uns mein Freund Walter dort die Getränke im Duty Free Shop. Ach so, du willst keinen Rausch von der Atomenergiebehörde. Was willst du eigentlich? Vielleicht machst du mir einmal eine Liste, damit ich mich noch auskenne und mich weniger irre bei dir.
    Was ich will, fragt er, aber fragt es nicht wirklich. Er sagt, daß er Streit haßt und daß ich immer den Streit vom Zaun breche. Besonders, wenn ich getrunken habe. Der Streit wächst uns aber entgegen, und die Dissonanzen sind zu Ohrwürmern geworden. Immer das gleiche Lied. Er will mir die Freiheit ausdehnen und mir einen Gebrauchtwagen kaufen, damit ich mehr Auslauf habe. Meine Boshaftigkeit: Ich will keinen Gebrauchtwagen, ich würde lieber mit einem Tretroller fahren, so wie früher. Sein harmloser Test: Zeig mir, wo die Schuhstrecker sind. Hier, Geliebter, sind deine Schuhstrecker. Jetzt nimm sie und steck sie in diese Schuhe. Warum? Frag nicht, steck sie hinein. Ich gehorche. Man weiß ja nichts, vielleicht kommt jetzt der große Gag unserer Ehe, alles war nur ein Traum, jetzt lachen wir gleich und alles wird gut. Rolf lacht nicht, obwohl die Schuhstrecker schon stecken. Er sagt, das hat er sich gedacht. Was? Die Schuhe haben sich verformt, weil ich die Strecker immer falsch hineingesteckt habe, nämlich oft den linken in den rechten und den rechten in den linken, und jetzt ist alles ausgebeult. Ich bereue wieder, Rolf nennt mich sein artiges Kind, ich sage, das ist brutal, was er gemacht hat, diesen Test, und überhaupt alles, er sagt, er wird nie mehr brutal sein, auch nie mehr sadistisch, morgen wird alles anders, ich soll nicht immer alles so ernst nehmen, er hat eben seinen eigenen Humor, und ich werfe immer alles in die Waagschale.
    Warum schreibt aber der Steuerberater seine Briefe nicht selbst? Kann er nicht tippen? Und warum durfte ich am Freitag nicht das zitronengelbe Kleid
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