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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer
Autoren: Brigitte Schwaiger
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besagt, daß dieser eine Ehegatte kein Recht auf Scheidung hat, wenn er dem Ehebruch zugestimmt oder ihn durch sein Verhalten absichtlich ermöglicht oder erleichtert hat. Paragraph zweiundfünfzig besagt, daß ein Ehegatte Scheidung begehren kann, wenn der andere an einer schweren ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit leidet und ihre Heilung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden kann. Schöne Paragraphen sind das! Rolf und der Richter tauschen Blicke: Beklagte Partei zieht die Angelegenheit ins Lächerliche. Der Richter will wissen, ob Rolf im Bett von mir unanständige Sachen verlangt hat, so daß ich mich deshalb weigerte, mit ihm den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wie es in der Klageschrift steht. Ja, einmal hat er in einem Wutanfall das verlangt, was er sonst nur im Liebesanfall wollte.
    Was hat er verlangt? Rolf macht ein Gesicht, als könne er sich nicht erinnern. Was hat er verlangt? Der Richter wird neugierig, und es geht ihn doch nichts an. Der Richter diktiert seine magere Ausbeute dem Mädchen, das hinter der Schreibmaschine sitzt. Die Männer können alle nicht tippen. Und bilden sich noch etwas darauf ein. Buch wird zugeklappt. Fertig. Der Richter wallt hinaus. Hat sich eigens verkleidet für uns. Draußen steht schon das nächste Paar.
     
    Wie viele gemeinsame Autofahrten. Wie oft hat er seine Hand auf mein Knie gelegt und ich meine Hand auf seinen Hals. Man könnte die Dauer dieser Ehe in Kilometern ablesen. Er hat das Auto kurz vor der Hochzeitsreise gekauft. Der Motor läuft gut, weil er weiß, daß ich nie wieder am Steuer sitzen werde. Nie wieder werde ich Hand an das Auto legen. Nie wieder Hand auf Rolfs Hals. Er hat gerade meine Hand weggenommen, vorsichtig, mit gespreizten Fingern. Endgültig. Meine Hände im Schoß. Was fange ich jetzt an? Ich sitze fraulich. Obwohl ich jetzt wieder nicht dazugehöre. Seine Hände am Steuer. Da gehört immer alles zusammen, wo Rolf seine Hände hat. Blinken, Gang einlegen, Scheibenwischer einschalten, Scheibenwaschanlage betätigen, und er denkt, daß er bei der nächsten Tankstelle das Wasser nachfüllen lassen wird. Früher hat er solche Gedanken laut ausgesprochen. Ich bekam oft Aufträge, wenn Rolf an einer Tankstelle etwas anderes zu tun hatte. Durfte sagen: Voll. Super. Manchmal auch: Schauen Sie bitte das Öl nach. Da hatte ich immer Angst, der Tankwart würde sich weigern, Aufträge eines Papageis entgegenzunehmen. Aber er zeigte mir den Ölstab, und ich nickte. Ich nickte immer. Ich möchte gern meine Hand auf Rolfs Hals legen, weil ich dafür dankbar bin, daß er mich im Auto mitfahren läßt. Als wir aus dem Linzer Landesgericht gingen, dachte ich: jetzt fährt er mich zum Autobusbahnhof. Er fährt langsamer als sonst. Wahrscheinlich, weil er auf fremde Fahrgäste immer Rücksicht nimmt. Er flucht nicht, weil er mir seine Flüche jetzt nicht mehr zumutet. Wer wird seinen Hemdkragen bügeln? Er sucht selbst etwas im Handschuhfach, geschickt. Er kann es also: zieht sich die fingerlosen Handschuhe an, ohne mich zu bitten, einen Augenblick das Lenkrad zu halten. Das hat sich aufgehört. Er ist jetzt Alleinperson. Er wird eine heiraten, die sagt: Noch drei Kilometer, dann biegen wir ab nach Brescia. Sie wird Autokarten lesen können. Eine Frau wird er finden, die gleiche Interessen hat. Eine, der man nicht erklären muß, was ein Elfmeter ist. Strafe? Belohnung? Eine Strafe, sagte Rolf. Aber doch beides, je nachdem, zu welcher Mannschaft man hält. Corner, Out, Schlußpfiff. Was ist ein Sieg nach Punkten? Tut es dem Boxer weh? Die nächste Frau wird das alles wissen. Sie wird seine Ideen zu ihren machen und alles zusammen veredeln. Sie wird so sparsam sein, daß es ihm eines Tages auf die Nerven geht. Das wünsche ich ihm, bei aller Liebe. Denn ich liebe ihn wieder, seit wir geschieden sind. Ich möchte, daß er stehenbleibt und mich küßt, daß wir hier im Auto, weil ich ihn liebe, und seinen armen Rücken will ich streicheln, weil ich ihn liebe, weil ich nicht mehr muß, weil ich nicht ihn gehaßt habe, sondern das, was sie aus ihm gemacht haben, diese Leute, die unter meinem zitronengelben Kleid litten, wo Rolf doch früher ins Weihwasser spuckte und manchmal frech war in der Schule, den liebe ich doch wirklich, der mich so klitschnaß geküßt hat, weil es auch sein erster Kuß war, den möchte ich wiederfinden, den er vergraben hat, diesen Rolf, aber er hat ihn so gut versteckt. Meine Mutter versteckt auch manche Sachen so gut, daß sie
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