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Ein Grabstein fuer den Playboy

Ein Grabstein fuer den Playboy

Titel: Ein Grabstein fuer den Playboy
Autoren: Michael Lewin
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    1
    Sie war zauberhaft. Großartig.
     Ein Kunstwerk. Die reinste Verwirklichung des Wunschtraums eines jeden
     Privatdetektivs: eine Klientin, die die Treppen heraufkommt in sein Büro,
     sich im Klientensessel niederläßt und an der Handtasche
     herumfummelt.
    Zuerst sagte sie nichts und
     schaute sich um, blickte auf die nackten Wände, den Schreibtisch und
     die Pappkartons. Ich hätte ihr stundenlang Zusehen können und
     konnte kaum glauben, daß sie wirklich bei mir war, diese Inkarnation
     einer Klientin. Als sie gerade wegschaute, biß ich mir in den Arm,
     um sicherzugehen, daß ich nicht träumte.
    Vielleicht war ich auch nur
     hungrig; so genau kann ich das nicht mehr sagen.
    Dann, endlich, begann die
     reizende Vision zu sprechen. Und auch die Stimme war zauberhaft,
     melodisch, mit Untertönen, die mich in eine andere, bessere Welt
     trugen, in andere, bessere Zeiten.
    Die Worte, die sie sagte,
     gefielen mir allerdings nicht ganz so gut.
    »Ich hab’ schon
     gedacht, hier wohnt keiner mehr. Und wenn ich mich so umschaue - du liebe
     Zeit, ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob hier noch jemand wohnt.«
    »Nur ein bißchen
     Frühjahrsputz.«
    »Jetzt, im Juni?«
    »Warum nicht? Es ist
     immer noch Frühling.«
    »Schon möglich«,
     sagte sie. »Trotzdem.«
    »Ich hatte bisher noch
     keine Gelegenheit dazu«, erklärte ich. »Sie wissen schon,
     ein Fall nach dem anderen.«
    »Eigentlich sieht es
     eher so aus, als ob Sie ausziehen.«
    »Ich hab’ nur
     aufgeräumt, weil ich streichen möchte.«
    »Aha«, sagte sie,
     ohne weiter darauf einzugehen, aber auch ohne Überzeugung.
    Ich staubte mein bestes väterliches
     Detektivlächeln ab und legte es auf. Dann faltete ich die Hände
     auf der Schreibtischplatte und beugte mich vor. Aber ehe ich die
     »Beziehung« zu ihr »hersteilen« konnte, wie es im
     Handbuch für Privatdetektive beschrieben wird, »in einer
     freundlichen, aber bestimmten Weise«, fragte sie schon: »Und
     Sie verdienen sich tatsächlich Geld damit?«
    Eine gehörig
     impertinente Frage. Wenn ich sie so weitermachen ließ, würde
     ich demnächst an Depressionen leiden.
    »Natürlich nicht,
     wenn Leute hierherkommen, die nur herummeckern, statt interessante Fragen
     zu stellen, zum Beispiel, ob ich ihren Auftrag übernehmen kann und
     was mein per diem ist.«
    »Ihr per diem? Was ist
     denn Ihr per diem?«
    So war es besser. »Fünfundachtzig
     Dollar pro Tag.«
    »Ach, ich verstehe. Ihr
     Tageshonorar. Sie machen also tatsächlich Geschäfte hier?«
    »Mach’ ich«,
     lautete meine Antwort, und mein Kopf bereitete das Herz auf einige Enttäuschungen
     vor.
    »Und Sie sind der auf
     dem Schild draußen?«
    »Albert Samson, zu
     Diensten.« Die letzte Geste des Herzens; ich setzte mich gerade hin.
    »Ich bin nicht wegen
     einer Sache gekommen, die einen Detektiv interessiert«, sagte sie.
     Aber meine Bemerkung schien sie zu beschäftigen. »Ist das bei
     normalen Leuten nicht immer so?«
    »Meistens; die anderen
     werden leider immer weniger.«
    »Mit anderen Worten:
     Das Geschäft geht nicht gut, wie?«
    Ich mußte mich durch
     meinen Tonfall verraten haben. Aber ich habe auch meinen Stolz. »Über
     das Geschäft kann ich nicht klagen«, sagte ich. »Zur Zeit
     spezialisiere ich mich mehr auf Multinationales. Was kann ich für Sie
     tun?«
    »Ich sammle«,
     sagte sie.
    »Bedauerlicherweise
     habe ich meine alten Anzüge bereits der Wohlfahrt geschenkt.«
    »Ach - ich meinte auch
     keine Anzüge. Ich sammle Geld.«
    Jetzt starrte ich sie wortlos
     an.
    »Wir wollen eine
     Spielschule gründen, für die Kinder in unserer Nachbarschaft.
     Wenn wir die Lebensbedingungen in der Stadt verbessern wollen, müssen
     wir bei den Menschen beginnen, die noch hier leben. Und die Kinder sollen
     schon vor ihrer Schulzeit eine Chance geboten bekommen, Sie verstehen. Ein
     paar vorläufige Räume haben wir schon dafür gefunden, in
     einem leerstehenden Gebäude an der
     Ecke. Es wird demnächst abgerissen, aber wir können es noch den
     Sommer über benützen …« Sie verstummte.
    Ich fühlte, wie ihr klar
     wurde, daß auch dieses Haus, in dem wir uns befanden, in Kürze
     abgerissen werden sollte.
    Jetzt sagte ich: »Was
     große Gesten betrifft, bin ich immer gut gewesen. Sehen Sie, deshalb
     streiche ich hier noch, bevor ich am nächsten Montag ausziehe.«
     Immerhin war es bereits Donnerstag, den 12. Juni.
    »Und - haben Sie schon
     eine neue Unterkunft für Ihr - Büro
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