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0166 - Das Werwolf-Mädchen

0166 - Das Werwolf-Mädchen

Titel: 0166 - Das Werwolf-Mädchen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Yakka witterte. Er roch die Ausdünstungen seiner Gefährten. Es waren vertraute Gerüche, mit denen er aufgewachsen war. Seine Artgenossen, unter denen er sich die Spitzenstellung erkämpft hatte. Yakka war noch jung, war ungemein kräftig, schnell und intelligent. Er hatte das Rudel hergeführt.
    Yakka ahnte nicht, daß er und sein Rudel einige der letzten Wesen seiner Art waren. Nur manchmal fragte sich etwas in seiner Rassen-Erinnerung, warum sie so selten auf andere Rudel trafen. Wo waren sie alle geblieben?
    Irgendwann war dann der Ruf gekommen. Es konnte noch nicht lange her sein. Und Yakka, dem der Zeitbegriff fehlte und der nur wußte, daß nach einer Wärmeperiode die Kälte folgte und weiße Flocken vom Himmel fielen, um eine garstige, weiße Schicht auf der Erde zu bilden - er hatte den Ruf wahrgenommen und das Rudel hierhergeführt.
    Da war noch etwas. Eine andere Witterung. Ein Zweibeiner? Ein Opfer, leichte Beute für das Rudel?
    Fast unhörbar war das Knurren, das Yakka ausstieß und damit das Rudel darauf hinwies, daß absolute Stille geboten war. Nur zu leicht konnte sich ein anderer jener unstillbaren Sehnsucht nach endlosen Weiten hingeben und den Mond anheulen.
    Das aber würde den Zweibeiner warnen.
    Ja, es war ein Zweibeiner. Yakka erkannte die typische Ausdünstung jetzt ganz deutlich. Er setzte sich in Bewegung. Fast lautlos huschte das Rudel durch das hohe Gras, seinem Ziel entgegen.
    Dann sah Yakka das Licht.
    Und da wußte er, daß er seinem Ziel nahe war. Von hier war der Ruf ausgegangen, der ihn aus einem fernen Land angelockt hatte. Er erkannte den Zweibeiner plötzlich nicht als Opfer, sondern als Gefährten. Nicht nur das. Der Zweibeiner mußte ihm überlegen sein.
    Yakka würde nicht kämpfen. Stillschweigend würde er sich unterordnen und das Rudel dem neuen Anführer überlassen.
    Näher kam das flackernde Licht.
    Und dann hatte Yakka, der Leitwolf, es mit seinem Rudel erreicht…
    ***
    Harry Winter duckte sich. Eine Verwünschung drang über seine Lippen, als er blitzschnell herumschwang. Der Heulton war von links gekommen.
    Wölfe…
    Aber Wölfe gab es doch nicht in der Bretagne! Hier mußte sich jemand einen üblen Scherz mit ihm erlauben. Aber wer konnte es sein?
    Es mußte jemand sein, der Harry Winter kannte. Jemand, der wußte, daß er jahrelang in der sibirischen Taiga gewesen war, daß er mit Kosaken geritten war und mehr als einen Wolf zur Strecke gebracht hatte. Jemand, der wissen mußte, daß Harry Winter Wölfe fürchtete und haßte wie die Pest.
    Seine Gedanken flogen in die Vergangenheit. Damals, wie viele Jahre mochte es her sein? Lucille und das Kind, Jennifer… Drei Jahre alt war sie gewesen, als die Wölfe kamen und die Kosakensiedlung überfielen. Es war ein bitterer Winter gewesen, der Mensch und Tier gleichermaßen ausgehungert hatte. Nur darum hatten die Wölfe es gewagt, die kleine Siedlung anzugreifen. Und sie waren schlau gewesen, teuflisch schlau! Sie hatten angegriffen, als die meisten Männer auf der Jagd waren - eine meist erfolglose Jagd in diesem entsetzlichen Winter. Nur die Alten waren in der Siedlung geblieben und die Frauen. Und sie waren nicht schnell genug gewesen.
    Lucille und Jennifer…
    Alles in ihm krampfte sich bei der Erinnerung an das Grauenhafte zusammen. Und hier versuchte ihn jemand mit dem Wolfsgeheul hereinzulegen! Aber wer?
    Wer konnte wissen, daß er hier seinen Urlaub verbrachte - und daß er in diesem Augenblick an dieser Stelle seinen Nachtspaziergang machte? Daß er sich weit von der Stadt entfernt hatte, weil er die Freiheit, die »Wildnis« brauchte? Die langen Jahre in jenem Kosakendorf hatten ihn geprägt. Er war kein Stadtmensch mehr. Die engen Straßen, die dicht stehenden Häuser erdrückten ihn, nahmen ihm den Atem. Er brauchte die weiten Ebenen.
    Er versuchte sich wieder zu entspannen. Ja, ein übler Scherz, das mußte es sein. Aber irgendetwas in ihm rührte sich und warnte dennoch. Sein Jägerinstinkt…
    Huschte nicht irgend etwas durchs hohe Gras?
    Der Wolfsruf wiederholte sich nicht. Harry Winter lauschte angespannt. Nur der Wind strich durch die Gräser. Doch die Tierstimmen blieben ruhig.
    Schweigen des Todes…?
    Er bewegte sich wieder.
    Plötzlich sah er ein Licht, vor sich auf dem langgestreckten, schnurgeradeaus führenden Weg. Ein flackerndes Licht, dicht über dem Boden.
    Eine Kerze?
    Plötzlich sah er dort auch etwas. Es war eine menschliche Gestalt.
    Erleichtert atmete er auf. Also doch ein Mensch!
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